Pflaster mit Sensorfunktion

Der Spion im Bauch

15.05.2023 | ANDREA SIX

Damit Wunden nach einer Operation im Bauchraum dicht verschlossen bleiben, haben Forschende der Empa und der ETH Zürich ein Pflaster mit Sensorfunktion entwickelt. Das Polymerpflaster meldet gefährliche Lecks an Nähten im Magen-Darm-Trakt und schliesst die Stellen eigenständig. Ihre Erkenntnisse publizierte das Team im Magazin «Nature Communications».

https://www.empa.ch/documents/56164/24848565/EQ79-Darmpflaster-stopper.png/83c267e2-010b-4f85-8994-97071d020342?t=1679405415000
Das Hydrogel-Kompositmaterial des Sensorpflasters entstand während der Dissertation von Alexandre Anthis unter der Leitung von Inge Herrmann an der Empa und der ETH Zürich. Bild: Empa

Nach einer Operation in der Bauchhöhle sind sie besonders gefürchtet: undichte Stellen an den Nähten, an denen der Inhalt des Verdauungskanals in den Bauchraum rinnt. «Auch heute stellen derartige Leckagen eine lebensgefährliche Komplikation dar», erklärt Empa-Forscherin Inge Herrmann, die auch die Professur für Nanopartikuläre Systeme an der ETH Zürich bekleidet. Die Idee, vernähtes Gewebe in der Bauchhöhle im Anschluss mit einem Pflaster zu versiegeln, ist zwar bereits im Operationssaal angekommen. Das Problem: Der klinische Erfolg ist nicht immer optimal und variiert je nach verklebtem Gewebe. Denn die Pflaster aus Eiweiss-haltigem Material lösen sich beim Kontakt mit Verdauungssäften zu schnell auf. Im Rahmen einer langjährigen Kooperation verfolgten Inge Herrmann und Andrea Schlegel, Chirurgin am Universitätsspital Zürich, daher die Idee, ein resistentes Darmpflaster zu entwickeln, das Lecks mittels Sensoren frühzeitig anzeigen kann.

Dem Pflaster das Sehen beibringen
https://www.empa.ch/documents/56164/24848565/EQ79-Darmpflaster-blau-870.png/3ff9b0ad-b2ed-4a8e-bf56-2fe95fd58a97?t=1679405415000
Das synthetische Hydrogel-Material besteht aus vier verschiedenen Acryl-Substanzen. Bild: Empa

Das Team um Herrmann und Alexandre Anthis vom «Particles-Biology Interactions» Labor der Empa in St. Gallen und dem «Nanoparticle Systems Engineering» Labor der ETH Zürich entwickelte dabei zunächst ein Hydrogel-Polymer-Pflaster, das verhindert, dass die stark sauren Verdauungssäfte und keimbeladene Nahrungsrückstände aus dem Darmkanal austreten und eine Bauchfellentzündung oder sogar eine lebensgefährliche Blutvergiftung (Sepsis) auslösen.

Doch die Forschenden wollten noch einen Schritt weitergehen: «Chirurgen haben uns berichtet, dass sie zwar während eines noch so komplizierten Eingriffs das Operationsfeld genau im Blick haben – doch sobald die Bauchhöhle verschlossen ist, sei man «blind» und bemerke Leckagen möglicherweise erst, wenn es zu spät ist», so Anthis. Damit das Hydrogel-Pflaster also «sehen lernt», hat das Team gemeinsam mit Spitälern in der Schweiz und internationalen Forschungspartnern eine Lösung erarbeitet: Das Pflaster ist mit Sensoren ausgestattet. Über diese neuartige Technologie berichteten die Forschenden im renommierten Magazin «Nature Communications».

Bioverträglicher Superkleber

https://www.empa.ch/documents/56164/24848565/EQ79-Darmpflaster-transparent-435.png/6e8e19db-8c09-44a5-8323-524ee25e37da?t=1679405415000
Gummiartiger Superkleber: Das Sensorpflaster hält ein Mehrfaches der Druckverhältnisse im Bauchraum aus. Bild: Empa
Die «Sehfähigkeit» erreicht das neuartige Material durch eine empfindliche Reaktion auf Änderungen des pH-Werts und das Auftreten bestimmter Eiweissstoffe im Umfeld der Wunde. Die Reaktion erfolgt dabei – je nach Lokalisation des Lecks – innert Minuten bzw. weniger Stunden. Bislang muss sich das Gesundheitspersonal auf erst deutlich später eintretende körperliche Reaktionen der Betroffenen oder Labortests verlassen – beide Hinweise liefern unter Umständen zu spät einen eindeutigen Hinweis auf eine undichte Nahtstelle.

Das Sensorpflaster erlaubt es hingegen, aufgrund seiner Komposit-Struktur Verdauungsflüssigkeit nachzuweisen, die bei einem Leck austritt. So reagiert beispielsweise saurer Magensaft mit dem Sensor-Material, so dass feinste Gasblasen in der Matrix des Pflasters auftauchen. Die Bläschen lassen sich dann mittels Ultraschall sichtbar machen. «Die Pflaster lassen sich mit massgeschneiderten Sensoren für unterschiedliche Stellen im Verdauungstrakt ausrüsten», so Anthis. Ausserdem kann das Pflaster bei Bedarf sogar Medikamente freisetzen, etwa antibakterielle Wirkstoffe.

Darüber hinaus erreicht das Material die nötigen Eigenschaften für den Wundverschluss: eine stabile Bindung an die Schleimhaut, die Ausbildung von Netzwerken, Stabilität gegenüber Verdauungssäften und Wasserdichtigkeit. Der kostengünstige, bioverträgliche Superkleber, der zu einem Grossteil aus Wasser besteht, könnte auf diese Weise nicht nur das Risiko von Komplikationen nach einer Bauchoperation senken, sondern zudem Spitalaufenthalte verkürzen und Gesundheitskosten einsparen. «Das Darmpflaster-Projekt stösst bereits jetzt auf grosses Interesse aus der Ärzteschaft», berichtet Herrmann. Nun gelte es die Anwendung der klinisch relevanten Innovation in der Praxis voranzutreiben.

Ausgezeichneter Jungforscher

Das Forscherteam gründet zur Zeit das Start-up «Veltist». Das künftige Biomed-Unternehmen will als Spin-off der ETH-Zürich und der Empa Materialien entwickeln und zur Marktreife bringen, die in der Chirurgie zu einem optimalen Wundverschluss und einer verbesserten Heilung beitragen sollen und auf diese Weise helfen, die gefürchteten Komplikationen einer Sepsis oder einer Bauchfellentzündung zu vermeiden. Nebst dem «MaP 2022 Award» der ETH Zürich für die beste Dissertation im Bereich «Materials and Processes» erhielt Alexandre Anthis zudem eines der begehrten «ETH Pioneer Fellowships», sowie den Empa-Forschungspreis.
Bild: Empa / Schwarz Pictures


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