Abteilung «Fügetechnologie und Korrosion»

Forschen im Grenzbereich

19.04.2013 | MARCO PETER
Seit Februar 2012 leitet Lars Jeurgens die neue Abteilung «Fügetechnologie und Korrosion». Sein Team beschäftigt sich u.a. mit Lötverbindungen, Korrosion, lokaler Elektrochemie und dem Design von funktionellen Legierungen, Oberflächen und Grenzflächen. Jeurgens’ Weg in diese Wissenschaft begann ursprünglich, weil ihn Steine in ihren Bann zogen.
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Lars Jeurgens. Mit seinem Kollegen Thomas Suter (rechts) prüft er einen neuen Versuchsaufbau.


Als Teenager war Lars Jeurgens fasziniert von Mineralien und Fossilien. Begeistert hegte und pflegte er seine Sammlung. Aus dieser Leidenschaft heraus entschied er sich damals für ein Geologiestudium in Utrecht. Schnell merkte er, dass sich Geologinnen und Geologen (zu jener Zeit) auch mit Fragen aus der Materialwissenschaft beschäftigten. So galt es beispielsweise herauszufinden, wie Schwermetalle in die Umgebung gelangen und welche Effekte sie dort haben. Dieses Thema interessierte Jeurgens. Er richtete sein Augenmerk darauf, wie man die Schwermetalle Chrom und Wolfram wieder aus der Umwelt, etwa aus Flüssen, herausfiltern kann, und experimentierte dazu mit porösen Oxiden, um die gelösten Metalle im Wasser zu binden – ein erster Ausflug in die Chemie der Grenzflächen war damit getan.

Von Bohrlöchern bis zu Turbinenschaufeln
Nach Abschluss des Masters wechselte der damals 23-Jährige die Fronten und stellte seine physikalischen und chemischen Kenntnisse in den Dienst des Mineralölunternehmens Shell. Im Labor forschte er an der Kernspinresonanzspektroskopie (NMR von engl. nuclear magnetic resonance) von Porenfluiden in Erdölspeichergestein. Mit diesem Analyseverfahren können die Gesteinsschichten unter dem Meer auf ihren Ölgehalt untersucht werden. Diese Forschung war «sehr reizvoll», wie Jeurgens sagt, doch um sie als Projektleiter weiterzutreiben, fehlte ihm der Doktortitel.

Darum immatrikulierte er sich nach einem Jahr bei Shell an der Technischen Universität Delft. Im Laufe seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit den Anfangsstadien der Oxidation von Metallen. Während der anschliessenden Zeit als «postdoc» forschte er an hitzeresistenten Beschichtungen für die Schaufeln von Flugzeugturbinen. Jeurgens war an der Entwicklung einer Oberflächenbehandlung beteiligt, die die Lebensdauer einer solchen Schutzbeschichtung verlängert. Dabei arbeiteten die Wissenschaftler unter anderem mit einer niederländischen Firma zusammen, die kurz darauf vom Schweizer Konzern Sulzer übernommen wurde. «Die Partner aus der Flugzeugindustrie patentierten unser Verfahren, doch ob es in der Praxis auch wirklich zum Einsatz kommt, bleibt ein gut geschütztes Geheimnis», erzählt Jeurgens mit seinem weichen holländischen Akzent, der Schweizer Ohren schmeichelt.

 

In seiner derzeitigen Position bei der Empa hat Jeurgens noch immer mit Oberflächenbehandlungen und Beschichtungstechnologien zu tun. In seinem Team wird heute unter anderem daran geforscht, wie man die Oberflächen von Implantaten mittels Oxidationsvorbehandlung korrosionsresistenter und biokompatibler machen kann. Denn wenn ein Implantat aus beispielsweise rostfreiem Stahl im Körper zu korrodieren beginnt, kann es lokal Eisen, Chrom oder Nickel an den Körper abgeben. Solch eine unkontrollierte Freisetzung von Metallen kann zu Komplikationen wie Entzündungen führen.

Grundlagenforschung am Max Planck Institut
Bevor Jeurgens an die Empa kam, war das Max Planck Institut für Metallforschung in Stuttgart für fast zehn Jahre seine Arbeitsstätte. Die Familie – Jeurgens hatte inzwischen eine Schweizerin geheiratet, die er auf seinem voruniversitären Interrail-Trip im Zug kennen gelernt hatte, und mit ihr zwei Kinder bekommen – zog von Holland nach Deutschland, und der junge Vater übernahm gleich mehrere Funktionen. Einerseits war er zuständig für Dienstleistungen im Bereich Oberflächenanalytik, andererseits leitete er eine eigene Forschungsgruppe, mit der er chemische Prozesse und Phänomene an Ober- und Grenzflächen analysierte. Und das überaus erfolgreich: Die deutsche Gesellschaft für Materialkunde zeichnete Jeurgens‘ Arbeiten 2008 mit dem Masing-Gedächtnispreis aus. Ausserdem unterrichtete er an der Universität Stuttgart und der «Max Planck International School for Advanced Materials».

Doch ein Veränderungswunsch wurde zunehmend spürbar: Jeurgens wollte seine Kenntnisse in der Grundlagenforschung, wie sie am Max Planck Institut betrieben wird, wieder stärker für praktische Anwendungen in der Industrie nutzen. Denn: «Wir publizierten zwar unsere Forschungsergebnisse, bekamen aber nachher nie so richtig mit, was die Wirtschaft damit macht.»

 

Der Teamgedanke zählt
Da kam die Stellenausschreibung der Empa, die einen neuen Abteilungsleiter suchte, gerade recht. Noch dazu war die Aufgabenstellung sehr reizvoll: Es galt, die beiden Abteilungen «Fügetechnik» und «Korrosion» unter einem Dach zusammenzuführen. Für Jeurgens eine äusserst sinnvolle Idee: «In beiden Bereichen geht es schliesslich um Reaktionen an Grenzflächen.»

Die Arbeit mit Grenzflächen beschäftigt ihn nicht nur im Labor, sondern auch dann, wenn seine Fähigkeiten als Teamleiter gefragt sind: «Für mich zählt der Teamgedanke. Es gibt Leute hier im Labor, die haben unglaublich viel Erfahrung. Auch ich bringe Erfahrung ein, und jetzt gilt es, das gesamte vorhandene Wissen aneinanderzukoppeln.» Heute arbeiten er und sein Team häufig mit Industriepartnern zusammen und entwickeln innovative Lösungen für den praktischen Einsatz – also genau so, wie er sich dies in seiner Zeit am Max Planck Institut vorgestellt hatte. In Kooperation mit Firmen aus der Medizintechnologie entwickeln sie beispielsweise Oberflächenbehandlungen für Werkstoffe auf Magnesiumbasis zur Herstellung von bioabbaubaren Implantaten. Das Stichwort heisst Biokompatibilität.

 

 
  Ein Probenstück mit 200 übereinander liegenden Nano-Schichten wird auf 700 Grad erhitzt. Sobald geschmolzenes Kupfer durch die Barriereschichten dringt, fliesst ein extrem schwacher Strom.
 

 

Nano auch in der Fügetechnik
Eine grosse Herausforderung liegt für Lars Jeurgens heute in der Arbeit mit nanostrukturierten Lötfolien für Anwendungen in der Fügetechnologie. Hier will er Methoden und Verfahren entwickeln, um unter anderem Nanomaterialien oder elektronische Komponenten bei immer niedrigeren Temperaturen löten zu können.

Mit herkömmlichen Methoden lassen sich solche wärmeempfindlichen Werkstoffe nicht gut fügen, sie würden bei den zu hohen Prozesstemperaturen ihre Mikrostruktur verändern und somit ihre vorteilhaften mechanischen oder physikalischen Eigenschaften einbüssen. Der Trick: Jeurgens beschichtet die hitzeempfindlichen Werkstoffe mit einem nanostrukturierten metallischen Lotwerkstoff. So wird, zum Beispiel, nanokristallines Titan mit einem Schichtsystem aus nanoskaligem Kupfer und ultradünnen Aluminiumnitrid-Barrieren versehen. Die vom Aluminiumnitrid eingesperrten Kupferschichten sind mit einer Dicke von zehn Nanometer so dünn, dass sie bereits bei etwa 550 Grad Celsius schmelzen – anstelle von normalerweise 1083 Grad – und die Titanwerkstoffe miteinander verbinden.

Das Schmelzverhalten wird durch das empfindliche Gleichgewicht der Energiebeiträge von Volumen und Grenzflächen im nanoskaligen System bestimmt. Diese sensible Energiebilanz und somit das Schmelzverhalten können durch gezielte Änderungen der Grenzflächen und der Kupfer-Schichtdicke eingestellt werden. Was einfach klingt, ist in der Praxis herausfordernd. Daneben gilt es nämlich zu beachten, dass sich das Kupfer beim Schmelzen wie gewünscht durch die dünnen Barrierenschichten manövriert und dabei auch wie gewollt mit den Grundwerkstoffen reagiert. Dieses Verfahren könnte bald in innovativen Prozesstechnologien für die Herstellung von hitzeempfindlichen Komponenten und Nanomaterialen zum Einsatz kommen.

Mit seinen Forschungsarbeiten im Nanobereich beschreitet Lars Jeurgens Neuland. Man kennt erst wenige der Gesetze, die in der Welt der Nanomaterialien gelten. Der Empa-Forscher will helfen, dieses unbekannte Terrain der Materialwissenschaften für die Industrie zu erschliessen.

 

Text: Marco Peter. Der Beitrag erschien in den EmpaNews Nr. 40, April 2013.

 

 
 
 

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