Oberflächenbearbeitung aus einem Guss

Freundliche Implantate

01.10.2012 | MARTINA PETER
Zellbiologen der Empa wollen Implantat-Oberflächen so «tunen», dass sie ihre Aufgaben im Körper besser wahrnehmen können. Zusammen mit dem Fraunhofer-Institut entwickelten sie ein Verfahren, mit dem Implantate, auf denen Zellen gerne wachsen, aus einem Guss gefertigt werden.
https://www.empa.ch/documents/56164/266851/a592-2012-10-04-b0x+stopper+Oberfl%C3%A4chenimplantate.jpg/5749f58c-0526-4b25-a3e9-313979471f53?t=1448297130000
 
So lagern sich Zellen auf der strukturierten Oberfläche an.
 
Damit sich der menschliche Körper mit einem Implantat «anfreundet», sollte der Fremdkörper eine Oberfläche besitzen, die von (künftigen) Nachbarzellen gerne besiedelt wird. Osteoblasten, also Zellen, die für die Knochenbildung verantwortlich sind, müssen sich auf einem künstlichen Hüftgelenk anlagern können, um neue Knochensubstanz zu bilden und dadurch das Implantat fest im Knochen zu verankern. Wie auch andere Forschergruppen arbeiten Empa-Forschende daran, mikrostrukturierte Implantatoberflächen zu entwickeln, die den Knochenzellen optimale Wachstumsbedingungen bieten. Arie Bruinink, Zellbiologe in der Abteilung «Materials-Biology Interactions», erklärt: «Wir haben unter anderem gesehen, dass eine Oberflächenstruktur mit ungefähr zellgrossen Noppen die Zellen in ihrer Form und Anhaftung stark beeinflusst.»
 
Wie Zellen auf verschiedene Modelloberflächen reagieren, können die Forscher unter anderem mit dem konfokalen Laserscanmikroskop beobachten: Nachdem sie Knochenmarkzellen auf einer Metallprobe mit genoppter Oberfläche ausgesät hatten, hafteten die Zellen auf dem Material, bildeten ihr Zell- oder Zytoskelett aus und passten ihre Form der Oberflächenstruktur an. Auf einer Oberfläche mit Noppen mit einem Durchmesser von 30 beziehungsweise 50 Mikrometer und einem Abstand von 20 Mikrometer spannen sich die Zellen zwischen den Noppen auf und sind nicht mehr so flach, wie sie sich normalerweise in einer Kulturschale präsentieren. Dies sei ein sehr auffälliges Verhalten, dessen Auswirkungen auf die Zelldifferenzierung weiter untersucht werden sollten, meint Bruinink.
 
Porenfrei sauber – und erst noch günstig
Um Implantate auf innovative Weise herzustellen, entwickelten die Materialforscher vom Bremer Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) mit Hilfe der zellbiologischen Experten der Empa ein Metallpulver-Spritzgiessverfahren (MIM, für «Metal Injection Moulding»). Mit diesem lässt sich das Implantat samt seiner mikrostrukturierten, biokompatiblen Oberfläche in «einem Guss» fertigen. Ziel des von der Volkswagen-Stiftung finanzierten Projekts seien Oberflächen gewesen, so Bruinink, die sich (sub-)mikrometergenau strukturieren lassen – was in dieser Präzision bislang kaum möglich gewesen sei; derartige Strukturen liessen sich nur mit enormem Aufwand und entsprechenden hohen Kosten fabrizieren. Wichtig sei ausserdem, dass sich während der Herstellung des Implantats an der Oberfläche keine unerwünschten Poren bilden, in denen sich Keime verbergen können. Diese können Infektionen und chronische Entzündungen auslösen – mit der Folge, dass das Implantat wieder entfernt werden muss. Mit der neuen MIM-Methode sei es nun gelungen, eine präzis strukturierte, porenfreie Oberfläche einfach und kostengünstig herzustellen, sagt Bruinink.
 

 
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Die Empa Forschenden Arie Bruinink und Magdalena Obarzanek-Fojt bei der Arbeit: Auf Bildschirmen überprüfen die beiden, wie gut sich die Zellen auf der Oberfläche des Prüfkörper ausgebreitet haben.

 

 

 
Eine patente Methode – nicht nur für den Medtech-Bereich
Die inzwischen patentierte Methode eignet sich nicht nur für Werkstoffe im Medtech-Bereich. Die herausragenden mechanischen Eigenschaften des Materials – hohe Dichte und nanostrukturierter Aufbau – sind auch für andere Anwendungen interessant. Daher könnte das Verfahren überall eingesetzt werden, wo Material mit grösserer Festigkeit und Härte gefragt ist, etwa bei Zahnrädern und Schiffsschrauben.
 
Was interessiert die Zellbiologen um Arie Bruinink nun als Nächstes? Sie möchten den zellulären «Wettbewerb» auf der Implantatoberfläche besser verstehen – und dadurch steuern, um das Implantat mit den «passenden» Zellen (und nur mit diesen) zu verbinden. Denn wenn ein Implantat im Patienten eingesetzt wird, «streiten» verschiedenste Zellarten auf der Oberfläche um Platz. Der Zelltypus, der die Oberhand gewinnt, bestimmt, welche Art von Gewebe auf dem Implantat schlussendlich entsteht. «Es gibt klare Hinweise», so Bruinink, «dass Osteoblasten und Bindegewebszellen unterschiedliche Oberflächen bevorzugen.» Die Forschenden wollen deshalb herausfinden, wie die Zellen durch die angebotenen Oberflächen gezielt in ihrem Wachstum beeinflusst werden können. In Zukunft soll es dadurch möglich sein, biokompatible Implantate herzustellen, deren Oberfläche einen bestimmten Zelltyp zum Anhaften einladen, andere dagegen auf Distanz halten.
 
 


 

Literaturhinweis
M. Bitar, V. Friederici, P. Imgrund, C. Brose, A. Bruinink: In vitro bioactivity of micro metal injection moulded stainless steel with defined surface features, in: European Cells and Materials, Vol 23, May 2012 (pages 333–347)


 

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