Der Bausektor als CO2-Senke

Auf CO2 bauen

14.12.2023 | EMPA-REDAKTION

Ausgeklügelte chemische Verfahren können klimawirksames Kohlendioxid in verschiedenen Formen binden – auf lange Sicht in beträchtlichen Mengen. Um sie zu nutzen, ist der Bausektor mit seinem grossen Massenumsatz bestens geeignet. Empa-Forschende arbeiten an verschiedenen Verfahren, die Hoffnungen wecken.

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Beton ohne Emissionen: Empa-Forscher Mateusz Wyrzykowski (links) und Nikolajs Toropovs ersetzen herkömmliche Gesteinskörnungen durch Pellets aus Pflanzenkohle und loten damit das Potenzial von CO2-neutralem oder gar negativem Beton aus. Bild: Empa

Um CO2 zu binden und damit den Bausektor klimafreundlicher zu machen, arbeiten Fachleute in aller Welt an neuen Verfahren – zum Beispiel für Abgasschlote von Fabriken der Zementindustrie, die grosse Mengen des Klimagases emittiert. Doch was tun mit diesem CO2? Ein Hoffnungsträger ist die unterirdische Lagerung in grossem Stil in Reservoirs aus porösen Gesteinen, die das Gas über lange Zeiträume speichern können – in verflüssigter Form.

Andere Möglichkeiten bietet die Kreislaufwirtschaft, vor allem im Bausektor mit seinen grossen Massenumsätzen. CO2 lässt sich beispielsweise mit Hilfe der so genannten Karbonatisierung an Betonrecycling-Material binden, um daraus neue Betone herzustellen. Bei anderen chemischen Verfahren wie der Pyrolyse, einer Erhitzung unter weitgehendem Ausschluss von Sauerstoff, von Methan zu Wasserstoff – etwa für Hochtemperatur-Industrieprozesse – wird schlussendlich fester Kohlenstoff abgeschieden, der dann als CO2-negatives Material im Bausektor verwendet werden kann.

Beton als CO2-Fänger – schon im Werk
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Recycling-Granulat-Partikel (Ø etwa 1,5 mm) nach der Karbonatisierung: Hauptprodukte sind CaCO3 (hellgrün) und C-S-H (rosa), das bei der Herstellung von Recyclingbeton mit neu gebildeten Zementphasen reagiert. Bild: Empa

Beton ist in der Lage, das Klimagas, das bei der Zementproduktion ausgestossen wurde, wieder zu binden, zumindest teilweise. «Karbonatisierung» nennt sich dieser Prozess – eine gemächliche Reaktion, die Jahre dauert und deren Tempo von vielen Faktoren abhängt. Im Projekt «DemoUpCARMA» unter Federführung der ETH Zürich wurde untersucht, wie sich dieser Prozess in einem Betonwerk nutzen und vor allem beschleunigen lässt – in einer Anlage der Firma Kästli Bau AG in Rubigen (BE) und mit Recyclingmaterial aus Betonkonstruktionen. Das Kohlendioxid aus einer Kläranlage wurde verflüssigt angeliefert und im Werk wieder zu Gas umgewandelt, um das Recycling-Granulat mit einem Verfahren der Berner Firma neustark AG kontinuierlich zu «fluten». 

Wie effizient das Granulat CO2 aufnimmt, haben Andreas Leemann und Frank Winnefeld von der Empa-Forschungsabteilung «Concrete & Asphalt» erkundet. Proben zeigten unter dem Mikroskop deutliche Veränderungen: Kleinere Partikel hatten an der Oberfläche Flecken aus dunklen und hellen Anteilen, an denen sich der ursprüngliche Zementstein verändert hatte. Analysen zeigten, dass die hellen Anteile Calciumcarbonat sind, während die dunklen Phasen hauptsächlich aus Calcium-Silicat-Hydrat – kurz: C-S-H – bestehen, dem Hauptprodukt der Zementhydratation, das Beton seine Festigkeit verleiht. Diesem C-S-H wurde durch die Karbonatisierung ein Teil des Calciums entzogen: Es wurde damit kalkärmer und konnte wiederum mit neu gebildeten Zementphasen im Recyclingbeton reagieren – mit der Folge, dass seine Druckfestigkeit stieg.

Versuche mit in der Schweiz häufig verbauten Betontypen bestätigten diese Einsichten. Sie zeigen, dass das Verfahren Betone auf zweifache Weise klimafreundlicher machen kann. Zum einen durch die Aufnahme von CO2, um die Atmosphäre zu «entlasten»: Sie erreicht bei den neuartigen Baustoffen bis zu 10 Prozent der Emissionen, die bei der Herstellung des Zements für den ursprünglichen Beton in die Atmosphäre gelangten. Zum Zweiten mit der Chance, dank der höheren Festigkeit den Zementgehalt in Recyclingbetonen zu mindern – um 5 bis 7 Prozent. Unter dem Strich liegt das Potenzial der CO2-Einsparung laut den Empa-Experten damit bei gut 15 Prozent.

Wie weit sich diese Resultate in der Praxis umsetzen lassen, ist freilich noch offen – unter anderem wegen der Frage, wie gut und mit welchem technischen sowie finanziellen Aufwand sich das Verfahren in Betonwerken implementieren lässt.

Pflanzenkohle für Beton
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Beton ohne Emissionen: 20 Volumenprozent Kohlenstoff-Pellets (schwarz) resultieren in Netto-Null-Emissionen. Bild: Empa

Ein Team des Empa-Labors «Concrete & Asphalt» entwickelt ein Verfahren, wie Pflanzenkohle praxistauglich in Beton integriert werden kann. Dieses Material entsteht durch einen Verkohlungsprozess von biologischem Material unter Luftabschluss und besteht zu einem sehr grossen Teil aus reinem Kohlenstoff, den die Pflanzen beim Wachsen in Form von CO2 der Atmosphäre «entnommen» hatten.

Zwar gibt es bereits Betonprodukte mit Pflanzenkohle auf dem Markt – doch die Kohle wird oft unbehandelt in den Beton eingebracht, was zu Problemen führen kann. «Die Pflanzenkohle ist sehr porös und absorbiert deshalb nicht nur viel Wasser, sondern auch teure Zusatzmittel, die bei der Betonherstellung verwendet werden», so Empa-Forscher Mateusz Wyrzykowski.

Daher schlagen die Fachleute die Verarbeitung in Pellets vor. Um sie zu fertigen, nutzten sie einen Rotationsmischer, vermengten darin die Pflanzenkohle mit Wasser und Bindemittel und erhielten so Kügelchen mit Durchmessern zwischen 4 und 32 Millimetern. Diese Pellets nutzten sie zur Herstellung von Normalbeton der Festigkeitsklassen C20/25 bis C30/37, die heute die grösste Verbreitung im Hoch- und Tiefbau haben.

Die Klimabilanz: Bei einem Anteil von 20 Volumenprozent Kohlenstoffpellets im Beton wurden Netto-Null-Emissionen erreicht, so Wyrzykowski – die gespeicherte Kohlenstoffmenge kompensiert also sämtliche Emissionen, die bei der Produktion der Pellets sowie des Betons anfallen. Bei einem Leichtbeton mit einer Dichte von ca. 1800 kg/m3 wird das Potenzial noch deutlicher: Ein Anteil von 45 Volumenprozent Pellets führt sogar zu negativen Emissionen von minus 290 kg CO2/m3.

Auf lange Sicht sieht Empa-Abteilungsleiter Pietro Lura als Kohlenstoffquelle nicht nur Pflanzenkohle, sondern lenkt den Blick auf ein Konzept, das mehrere Abteilungen der Empa verfolgen: die Produktion von synthetischem Methangas mit Hilfe von Sonnenenergie, Wasser und atmosphärischem CO2 in sonnenreichen Regionen der Erde und die anschliessende Pyrolyse des Gases. «Dadurch erhält man Wasserstoff, den man in der Industrie oder in der Mobilität nutzen kann und zusätzlich festen Kohlenstoff, den wir – wie die Pflanzenkohle – in den Beton einbringen können», so Lura.

Dämmstoffe mit Pflanzenkohle
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Empa-Forscher Mateusz Wyrzykowski vom «Concrete & Asphalt»-Labor. Bild: Empa

Pflanzenkohle ist auch im «Building Energy Materials and Components Lab» der Empa ein Thema. Ein Team um Jannis Wernery entwickelt ein neuartiges Dämmmaterial aus pflanzlichen Rohstoffen oder Abfällen, das darin enthaltenes CO2 dauerhaft bindet und so als Senke fungiert. Eine aussichtsreiche Idee, gerade mit Blick auf die grosse Bedeutung von Dämmstoffen bei der Aufgabe, viele Gebäude künftig energieeffizienter und damit klimafreundlicher zu machen.

Der grösste Teil des Kohlenstoffs, den die Pflanzen während ihres Wachstums in Form von CO2 aus der Atmosphäre gebunden hatten, kann durch eine Pyrolyse dauerhaft fixiert werden. Die so entstehende «Pflanzenkohle» wäre dann während der gesamten Lebensdauer des Gebäudes in der Dämmung gebunden. Vor allem aber könnte sie nach dem Abriss in Äcker eingebracht werden, wo sie den Boden fruchtbarer macht, aber über Jahrhunderte stabil bleibt – anders als andere pflanzliche Baustoffe wie etwa Zellulosedämmung, die bei der Verrottung gespeichertes Kohlendioxid wieder freisetzen.

Bis zur Einsatzreife sind freilich noch Details zu klären. Zum Beispiel gilt es sicherzustellen, dass wirklich alle Inhaltsstoffe der Dämmmaterialien für eine spätere Verwendung als «Dünger» geeignet sind. Zudem müsste ein marktfähiges Produkt bei der thermischen Isolation konkurrenzfähig sein und einen ausreichenden Brandschutz gewährleisten. Vorstudien zeigten laut Empa-Forscher Wernery aber, dass diese Ziele erreichbar sind.

Auf lange Sicht könnte Pflanzenkohledämmung die CO2-Bilanz der Schweiz spürbar verbessern. Laut Modellrechnungen der Fachleute liesse sich durch einen realistischen Teilersatz konventioneller Dämmstoffe durch Pflanzenkohle rund eine halbe Million Tonnen CO2-Äquivalente jährlich einsparen – einerseits durch verringerte Emissionen bei der Produktion, andererseits durch die Langzeitspeicherung des CO2. Das entspräche immerhin einem Prozent der gesamten Schweizer Treibhausgasemissionen. Ein Projekt mit Potenzial also, das auch finanzielle Förderinstitutionen überzeugte: Die Minerva-Stiftung, der ETH-Rat und das Bundesamt für Energie (BFE) fördern das Vorhaben ebenso wie der Klimafonds Stadtwerk Winterthur.


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