Astronaut Claude Nicollier an der Empa-Akademie über «Schritte im Weltraum»

«Wir haben Hubble eine Brille verpasst»

11.06.2007 | URS SALZMANN

Am vergangenen Dienstag war Claude Nicollier, der erste Schweizer im Weltraum, zu Gast an der Empa und begeisterte zahlreiche, gespannt lauschende Gäste mit seinen «Schritten im Weltraum». Der Astrophysiker und Astronaut, der viermal mit dem Space Shuttle ins All flog und dabei unter anderem das Weltraumteleskop Hubble reparierte, ging dabei vor allem auf die bemannte Raumfahrt und seine persönlichen Erfahrungen ein. Dass noch in diesem Jahrhundert Menschen den Mars erreichen werden, davon ist Nicollier überzeugt.

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Legende: Hubble Space Telescope (HST) im Gegenlicht


Atemberaubende Bilder vom All, der Erde, im Weltraum spazierenden Astronauten oder der Internationalen Raumstation mit einem andockenden Space Shuttle – Claude Nicolliers Vortrag bot den rund 350 Besucherinnen und Besuchern der Empa-Akademie einiges fürs Auge. Doch wer viermal mit dem Space Shuttle der US-Weltraumbehörde Nasa ins All geflogen ist, der hat ausser schönen «Urlaubsbildern» auch einiges zu erzählen. Nicolliers Enthusiasmus für die Erkundung des Weltalls war regelrecht ansteckend. Unser Nachbarplanet Mars sei das logische nächste Ziel auf diesem Weg – und bald schon erreicht. «Die ersten Menschen werden wohl 2030 auf dem Mars landen», prognostizierte Nicollier. «Wenn ich jünger wäre, würde ich sofort an einer Mars-Mission teilnehmen.»

 

Leben in anderen Galaxien

Und noch eine weitere Überzeugung teilte der Astronaut mit dem Publikum. «Ich gehe davon aus, dass es im All noch weiteres Leben gibt.» Denn obwohl das Entstehen von Leben ein extrem komplexer Vorgang ist, sei es aufgrund der unvorstellbaren Grösse und des immensen Alters des Kosmos praktisch unausweichlich, dass sich auch auf anderen Planeten irgendwann einmal eine vergleichbare Evolution zugetragen hat. «Es gibt tausende Galaxien mit jeweils bis zu 100 Milliarden Sternen, und viele davon haben ein Planetensystem», erklärte Nicollier. Statistisch betrachtet müsse es also «da draussen» irgendwelche Lebensformen geben. «Begegnet bin ich auf meinen Weltraumspaziergängen aber noch keiner.»

 
Claude Nicollier während seiner Präsentation
 

Weltraum-Spaziergang bei vierter Mission

Die Begeisterung für die Weiten des Universums hatte Claude Nicollier bereits früh gepackt; der studierte Astrophysiker war seit seiner Jugend begeistert von Flugzeugen und der Fliegerei. Als ausgebildeter Linien- und Militärpilot wurde er 1980 im Auftrag der Europäischen Weltraumbehörde ESA ins texanische Houston in das Astronautenausbildungszentrum der Nasa geschickt, wo er sich zwölf Jahre lang auf seinen ersten Weltraumflug vorbereitete – unter anderem in einem überdimensionalen Swimmingpool, in dem die zukünftigen Astronauten an Modellen den Umgang mit der Schwerelosigkeit trainierten. Die zweite Mission brachte Nicollier 1993 zum Weltraumteleskop Hubble, welches repariert werden musste. Während fünf Tagen und fünf Weltraum-Spaziergängen (allerdings ohne Nicollier, der an Bord des Space Shuttle geblieben war) «haben wir Hubble Brillen verpasst – es hat nicht mehr gut gesehen».

 

 

Nach einem dritten Flug 1996 hatte Nicollier bei seiner vierten Mission 1999 dann – endlich – die Gelegenheit, auch Arbeiten ausserhalb des Raumschiffes durchzuführen. Während einer achtstündigen Reparatur an Hubble hat er fünf Sonnenauf- und Sonnenuntergänge gesehen. «Obwohl man keine Bewegung spürt – dort oben gibt es ja keinen Wind – bewegt man sich mit rund 27’000 Kilometern pro Stunde», sagte Nicollier. «Bei diesem Tempo flog ich in 30 Sekunden über die ganze Schweiz hinweg.»

Für die bemannte Raumfahrt ebenfalls von zentraler Bedeutung ist die Internationale Raumstation («International Space Station» ISS). Am 8. Juni dieses Jahres startete die jüngste Mission mit sechs US-Amerikanern an Bord für einen Erweiterungsbau an der Raumstation. Ein zweites Panel Solargeneratoren wird installiert. Bis Ende 2010 soll die ISS fertig gestellt sein. Für Nicollier eine erfreuliche Aussicht – mit einem kleinen Wermutstropfen. «Zur gleichen Zeit wird das Space Shuttle nach 29 Jahren ausgemustert und durch eine allerdings erst 2014 fertig gestellte Kapsel ersetzt», so Nicollier. Der Raumgleiter sei zu teuer und zudem zu gefährlich.

 

«Weltraum für jedermann»

Bis dahin wird das Space Shuttle aber noch etliche Missionen erfüllen; bis zu sieben Personen kann es ins All transportieren. Seit 2001 sind auch immer wieder gut betuchte «Weltraumtouristen» darunter. Nicollier spricht lieber vom «Weltraum für jedermann». «Ich empfehle es jedem, einmal da hinaus zu gehen. Man ist relativ schnell dort – in gerade mal achteinhalb Minuten», scherzte der Astronaut, wies im gleichen Atemzug aber auf die horrenden Kosten hin, die ein solcher Spass mit sich bringt. Nicollier geht jedoch davon aus, dass die derzeitigen Preise in zweistelliger Millionenhöhe rasch sinken werden. «Virgin Galactic», ein Unternehmen von Richard Branson, plant bereits auf Ende 2008 Weltraumflüge für jedermann zu «erschwinglichen» 200'000 Dollar.

 

Hotels im Weltraum?

Für die Raumfahrt der Zukunft skizzierte Nicollier zwei Fixpunkte: Einerseits soll bis 2018 eine weitere Mission zum Mond abgeschlossen sein, andererseits gehen Fachleute davon aus, dass es noch in diesem Jahrhundert möglich sein wird, den Mars zu erreichen. Das müsse doch Ansporn genug sein für die Astronauten von morgen, machte Nicollier Werbung für seinen Berufsstand. An Hotels im Weltall mag heute noch keiner recht glauben, ganz auszuschliessen sei eine solche Entwicklung aber nicht.
Seine persönliche Zukunft sieht Claude Nicollier vor allem in der Weitergabe seines Wissens und seiner Erfahrung an die nächste Generation von Weltraumbegeisterten sowie an die breite Öffentlichkeit. Daneben engagiert er sich aber auch weiterhin beruflich für die Raumfahrt. Zurzeit ist er beispielsweise mitverantwortlich für die Selektion der zukünftigen ESA-Astronauten. Nicollier wünscht sich, dass sich unter ihnen auch bald wieder ein Schweizer oder gar eine Schweizerin befindet.


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