Herstellungszeit halbiert

Ein Wunderstoff wird erschwinglich

08.12.2016 | RAINER KLOSE
Aerogel ist das Traummaterial für viele Isolationszwecke. Hitzefest bis 600 Grad, superleicht, ungiftig – und extrem wärmedämmend. Nur die Herstellung macht Kopfzerbrechen: sie ist aufwändig und teuer. Ein Empa-Startup macht sich nun daran, den Herstellungsprozess zu revolutionieren. Wenn es klappt, gibt’s bald erschwingliches Aerogel für alle.
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Aerogel aus Matthias Koebels Versuchsproduktion
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Finaler Produktionsschritt: Im Trockenofen dampft das letzte Lösemittel ab; das Aerogel verliert Gewicht und wird fest.

Die NASA hat es natürlich schon lange: Aerogel, eine Art mineralischer Leichtschaum, von dem ein Kubikmeter nur rund 100 kg wiegt. Raketenbauer tränkten das Leichtmaterial mit Treibstoff, um Raketenstufen sicherer zu machen. Weltraumforscher fingen mit dem Supermaterial Kometenstaub im Weltall ein und brachten ihn zur Erde. Aber auch Altbaubesitzer in der Schweiz kommen bereits in den Genuss der sagenhaften Isolationseigenschaften: 2013 brachte die Baustofffirma Fixit einen mit der Empa entwickelten Aerogel-Dämmputz auf den Markt, der historische Fassaden nicht beeinträchtigt und dennoch besser dämmt als Polystyrolschaum.

Allerdings ist das Material heute nach wie vor knapp und teuer. Zwei Herstellerfirmen aus den USA teilen sich den Weltmarkt. Nur langsam jedoch lässt sich die Produktion hochfahren und beschleunigen. Denn zur Aerogel-Herstellung braucht es komplexe Prozesse, viel Geduld – und grosse Mengen chemischer Lösemittel. Bislang.

Empa-Forscher Matthias Koebel und sein Team sind auf dem besten Weg, das bald zu ändern. Koebel leitet das Labor «Building Energy Materials and Components» an der Empa, das sich der Forschung an Aerogelen verschrieben hat. Zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen hat er ein neues Herstellungsverfahren entwickelt und bereits patentiert. Die Methode spart einen beträchtlichen Teil der chemischen Lösemittel ein, die bisher gebraucht wurden. Mühselig mussten bis dato aus dem feuchten Gel Lösemittel herausgewaschen und durch andere ersetzt werden, erst dann war die aufwändige Trocknung des Gels möglich. «Die Alternative, die wir entwickelt haben, nennen wir Eintopf-Verfahren», erläutert Koebel. «Nun brauchen wir nur noch rund zehn Prozent des Lösemittelgemischs abzuziehen und geben zehn Prozent eines Katalysatorgemischs hinzu – nach kurzer Warmlagerungszeit ist unser Aerogel trocknungsfähig.» Der entscheidende Vorteil: die Herstellung braucht insgesamt nur noch fünf Stunden Zeit, statt wie bisher zwölf Stunden.

Fliessbandproduktion in Vorbereitung
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Aerogele müssen für Bauanwendungen wasserabstossend sein. Matthias Koebel (rechts) und Lukas Huber füllen Hydrophobierungsmittel in die Versuchsanlage.

Mit diesem Wissen gehen die Forscher nun den Produktionsprozess selber an. Für eine Massenproduktion des begehrten Stoffs reicht es nicht, einzelne Töpfe oder Bottiche Aerogel nacheinander zu produzieren. Für grosse Mengen und skalierbare Prozesse braucht es eine Art Fliessbandproduktion – Henry Ford lässt grüssen. Koebel hat bereits eine Idee. Laborversuche mit kleinen Behältern, in denen sein Team Aerogel herstellte, waren erfolgreich. Die Chemie haben die Empa-Leute im Griff. Für die Massenproduktion möchte Koebel nun nicht einfach die Behälter vergrössern und sich neue Schwierigkeiten beim industriellen Upscaling einhandeln. Vielmehr möchte er kleine Behälter, in denen der Prozess gut kontrollierbar abläuft, in eine Art Durchlaufofen schicken. Ähnlich wie bei Grossbäckereien läuft vorn das rohe Material, aufgeschichtet auf Wagen, hinein, und am Ende kommt hinten das zur Trocknung bereite, nasse Gel heraus.

«Ganz so einfach ist es natürlich nicht», sagt Koebel und muss lachen. «Sonst könnte es ja jeder.» Während der Reise durch den Fabrikationstunnel verfestigt sich das frisch gelierte Gel und «schwitzt» Flüssigkeit aus. An verschiedenen Stellen im Produktionstunnel wird nun aus jedem Behälter einzeln diese Flüssigkeit abgezogen und durch ein Katalysatorgemisch oder andere Reagenzien ersetzt. Nach Zugabe eines Hydrophobierungskatalysators und einer bestimmten Warmlagerstrecke im Tunnel wird das Gel hydrophob und kann anschliessend getrocknet werden. Durch Zugabe von polymerbasierten Härtern oder anderen Additiven könnten aber auch die Festigkeit oder andere Stoffeigenschaften der Aerogele gezielt verbessert oder an Kundenbedürfnisse angepasst werden. Je nach Aerogelrezept besteht der Trick nun darin, die Behälter lange genug und bei den richtigen Temperaturen durch den Produktionstunnel laufen zu lassen, damit alle chemischen Prozesse der Gel-Entstehung kontrolliert ablaufen können. Die Zudosierung von Reagenzien an unterschiedlichen Stellen in einem Produktionstunnel ist einzigartig und erlaubt eine gezielte Einstellung der Chemie und damit der Materialeigenschaften des Fertigprodukts.

Mit mehreren Partnern aus der Bauindustrie, der Industrieisolationstechnik und dem Automobilsektor, die alle an günstig produziertem Aerogel interessiert sind, ist Koebel nun daran, ein Startup-Unternehmen aufzubauen. Innert drei Jahren soll damit die Produktion von bezahlbarem Aerogel industriell umgesetzt werden. 

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Rainer Klose
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Artikel im EmpaQuarterly