Bidirektionale Energienetze in Gebäuden

Energieforschung im vertikalen Quartier

22.06.2016 | STEPHAN KÄLIN
Unter Nachbarn ist es üblich, sich den Rasenmäher auszuleihen oder die fehlenden Eier für den Sonntagszopf beizusteuern. Im Quartier der Zukunft geht Nachbarschaftshilfe weit darüber hinaus: Man hilft einander aus mit selbst erzeugter oder eingesparter Energie: Strom, Wärme und Gas. Der «ehub» – kurz für Energy Hub – vermittelt und arrangiert die Energieströme zwischen Gebäuden und Fahrzeugen.
https://www.empa.ch/documents/56164/640773/EHUB.jpg/2ed50ac6-13a7-4590-a0eb-0e8bfbc41759?t=1466581605000
Bereit zum Austausch: Das Leitungs- und Steuersystem in NEST verteilt Energie dorthin, wo sie gebraucht wird.
Gebäude als Energieproduzenten, saisonale Speicher im Quartier, bidirektionale Energienetze: Die Energieversorgung wird zunehmend dezentral – und eröffnet gleichzeitig eine Reihe neuer Fragestellungen. Welche Energieautonomie auf lokaler Ebene ist sinnvoll? Welche Bedeutung haben neue Technologien und welche Kombinationen machen Sinn? Wie kann der Energiebedarf in der Mobilität ins System eingebunden werden? Was sind die Auswirkungen auf das Verteilnetz oder auf Wärmeverbunde? «Der ehub ist eine Energieforschungsplattform, mit der es möglich ist, diese und andere Fragen zu beantworten, neue Energiekonzepte zu testen und das Potenzial für Effizienzsteigerung auszuloten», sagt Urs Elber, Geschäftsführer des Forschungsschwerpunkts Energie an der Empa und Projektleiter des ehub.
Intelligente Steuerung verbindet

Der ehub besteht aus einer Vielzahl von Komponenten, die Energie erzeugen, speichern, umwandeln und wieder abgeben können. Sie sind über eine intelligente Steuerung miteinander verbunden und lassen sich einfach um weitere Technologien erweitern. «Je nach Forschungsfrage können die Komponenten einzeln oder im Zusammenspiel betrieben werden. Es gibt deshalb auch nicht nur einen Betriebsfall, sondern viele verschiedene, die teilweise auch parallel ablaufen», erklärt Philipp Heer, der Technikverantwortliche des ehub. Als Testumgebung nutzt der ehub die beiden Demonstratoren NEST und move. «Die einzelnen Units in NEST stellen aus energetischer Sicht eigenständige Wohn- oder Bürogebäude dar», so Heer. Für die Energieforschung ist NEST demnach ein «vertikales Quartier», in dem neue Energiekonzepte im Gebäudeverbund untersucht werden können.

Die Units sind an verschiedene Strom-, Wärme- und Gasnetze angeschlossen, die Energieflüsse in beide Richtungen zulassen. «So kann zum Beispiel Wärme in einer Unit abgeführt werden, in der es gerade zu warm ist, und dort zugeführt werden, wo man heizen möchte», erklärt Heer. Fällt im Sommer mehr Wärme an, als innerhalb des Quartiers nötig ist, kommen saisonale Speicher ins Spiel. Der ehub verfügt für diesen Fall über einen Eisspeicher und verschiedene Erdsonden. Die gespeicherte Wärme kann dann im Winter wieder zurück ins Quartier, also ins NEST, geführt werden.

Verlagerung in die Mobilität

Dank effizienter Fotovoltaikanlagen entsteht künftig im Sommer auch mehr Elektrizität als lokal verbraucht wird. Im Gebäude können Batterien diese Energie kurzfristig zwischenspeichern; um den Strom aber auch längerfristig speichern zu können, bietet sich eine Umwandlung in Wasserstoff an. Für diesen Fall greift der ehub auf Komponenten des Mobilitätsdemonstrators move zurück. In move zeigt die Empa zusammen mit Partnern aus Wirtschaft und öffentlicher Hand mehrere Wege auf, wie die Mobilität der Zukunft von fossilen auf rein erneuerbare Treibstoffe umgestellt werden kann. Mittels Elektrolyse und überschüssigem Strom wird dort Wasserstoff hergestellt und in speziellen Tanks gespeichert. Der Wasserstoff dient einerseits als Treibstoff für Brennstoffzellenfahrzeuge und kann andererseits zurück ins Gebäude geleitet werden, wo er in Brennstoffzellen rückverstromt wird.

Wegweiser für zukünftige Investitionen

Der ehub ist offen für konkrete Fragestellungen aus Forschung und Wirtschaft. «Unsere Resultate zur Tauglichkeit und zur systemischen Kombination von Einzeltechnologien sollen Grundlagen schaffen für zukünftige Investitionsentscheide von Planern, Architekten, Energielieferanten und Behörden und ihnen sinnvolle und gesamtheitliche Handlungsoptionen geben», fasst Urs Elber die Ziele des ehub zusammen. Damit dies gelingt, müsse man aber auch über das Quartier hinausdenken und verstehen, wie sich die veränderten lokalen Netze auf das gesamte Energiesystem auswirken können.

In einem nächsten Schritt wird deshalb der ehub über die Grenzen des Empa-Areals erweitert und mit der «Energy System Integration» (ESI) Plattform des Paul Scherrer Instituts (PSI) verbunden. Diese Zusammenarbeit eröffnet der Energieforschung eine völlig neue Dimension und ermöglicht die Erforschung von geografisch verteilten Energienetzen. Zudem erlaubt die Kombination verschiedener Kompetenzen und Technologien einen ganzheitlichen Blick auf die Energiesysteme der Zukunft. 

ehub

Der ehub ermöglicht es zu erforschen, wie Energieflüsse innerhalb eines Wohn- und Büroquartiers optimiert werden können. Er verbindet alle Komponenten im NEST, die Energie produzieren, speichern umwandeln oder abgeben. Zusätzlich verbindet er die Energieflüsse aus dem Gebäudebereich mit dem move, dem Future Mobility Demonstrator auf dem Empa Campus. So wird es möglich erneuerbare Elektrizität als Treibstoff für Fahrzeuge zu verwenden oder in Form von Wasserstoff zu speichern.


move –  nachhaltige Mobilität

Der Energy Hub verbindet zwei Demonstratoren auf dem Empa-Campus miteinander: NEST und move. In beiden Demonstratoren wird Energie umgewandelt und verbraucht, teilweise auch erzeugt.

Die Demonstrations- und Technologietransfer-Plattform «move» wurde im November 2015 eröffnet und ermöglicht Empa-Forschern, neue Fahrzeugantriebskonzepte mit signifikant niedrigeren CO2-Emissionen zu entwickeln und in der Praxis zu erproben. Als Energiequelle dient überschüssiger Strom, der zeitweise beim Betrieb von Fotovoltaikanlagen oder Wasserkraftwerken anfällt – oder in einer Unit von NEST erzeugt wird.

Dieser Überschuss-Strom kann auf verschiedene Weise in Mobilität verwandelt werden: Einerseits lässt er sich für einige Stunden in Netzbatterien zwischenspeichern und danach in Batterien von Elektrofahrzeugen laden; andererseits kann man ihn mittels Elektrolyse auch in Wasserstoff für Brennstoffzellenfahrzeuge umwandeln. Wasserstoff ist leichter speicherbar als Batteriestrom.

In einer späteren Ausbaustufe soll in move aus Wasserstoff und CO2 synthetisches Methan hergestellt werden – auf diese Weise lässt sich der Überschuss-Strom in handelsüblichen Erdgas- und Biogasfahrzeugen einsetzen.

Nebst der Optimierung der Energieumwandlungs- und -speichertechnologien soll move auch aufzeigen, welche Art Fahrzeugantrieb sich für welchen Mobilitätstypus am besten eignet.