Internationaler Workshop: Stammzellen und Materialien für die Medizin

Alleskönner helfen kaputte Knochen heilen

10-nov-2005 | REMIGIUS NIDERÖST

Vom 7. bis 9. November trafen sich an der Empa in St. Gallen erstmals Europas führende Forscher auf dem Gebiet der mesenchymalen Stammzellen. Diese bis anhin vernachlässigten Zellen könnten die Behandlung von arthritischen Hüftgelenken und komplizierten Knochenbrüchen schon bald einschneidend verändern.

https://www.empa.ch/documents/56164/310388/a592-2005-11-10-b1m_stammzellen.jpg/d9283bb8-43d5-4b73-baaa-e5db7620b9c2?t=1448300540000
 

Legende:  Menschliche mesenchymale Stammzellen. Einzelne Zellproteine sind angefärbt: Rot, Vinculin; grün, F-Actin; blau, Kern

 

Die Situation ist paradox. Da gibt es eine interessante Gruppe von Zellen, die das Zeug für sehr interessante medizinische Anwendungen haben, die aber bei Stammzellforschern geradezu ein stiefmütterliches Dasein fristen. Hinzu kommt, dass die wenigen Gruppen, die sich mit diesen so genannten mesenchymalen Stammzellen beschäftigen, bislang eher wenig Austausch pflegten. «Über die Knochenvorläuferzellen existieren viele sehr widersprüchliche Angaben», beklagt die Zellbiologin an der Empa Dr. Katharina Maniura die aktuelle Situation. Dieser Missstand bewog sie zusammen mit Dr. Arie Bruinink, Leiter vom Empa-Team MaTisMed (Kürzel für «Materials and Tissues for Medicine»), vom 7. bis 9. November einen Stammzell-Workshop an der Empa zu organisieren, an den sie führende Forschungsteams aus ganz Europa einluden.

 
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Humane mesenchymale Zellen auf strukturierten Oberflächen. Links: unstrukturiert, rechts: Hemisphären.
 

Wirtschaftlich interessanter Knochenersatz

Mesenchymale Stammzellen gehören zu den adulten Stammzellen, die sich – im Gegensatz zu den alles könnenden embryonalen Stammzellen – bislang nur in eine beschränkte Anzahl von Geweben entwickeln können: Knochen, Knorpel, Muskeln und Haut sind die wichtigsten Typen bei den mesenchymalen Stammzellen. Sie befinden sich vorwiegend im Knochenmark, sind aber auch in anderen Geweben wie im Nabelschnurblut oder dem Fettgewebe zu finden.

 

 

Eine mögliche Anwendung der vielseitigen Zellen wäre beispielsweise die Optimierung von Materialien für Knochenimplantate, etwa bei künstlichen Hüftgelenken. Ausserdem könnte es einmal möglich werden, mit Stammzellen aus dem Knochenmark von Patienten körpereigenen Knochenersatz zu züchten. Angesichts der grossen Zahl von Hüftgelenksoperationen und der bisher nur unbefriedigend heilenden grossen Knochendefekten wird klar: Mesenchymale Stammzellen sind sehr verheissungsvoll – und nicht zuletzt auch wirtschaftlich interessant.

 Doch noch sind die Stammzellforscher nicht soweit: Die Vorläuferzellen verhalten sich nicht immer so, wie es die Forscher gerne möchten. «Das Basiswissen über diese Zellen fehlt noch weithin. Ein Grund dafür ist, dass die verschiedenen Studien nur schlecht zu vergleichen sind, da jedes Team andere Methoden verwendet. Hinzu kommt, dass die Interpretationen der Daten zum Teil auf unterschiedlichen Philosophien basieren», erklärt Arie Bruinink.

Stammzellforscher gleichen ihre Methoden ab

Der dreitägige Stammzell-Workshop brachte unterschiedliche Problemfelder rund um die mesenchymalen Stammzellen aufs Tapet. Am ersten Vortragsnachmittag ging es vereinfacht um die Frage: Wie finde ich in einer Suppe aus Knochenmarkzellen, die Stammzellen, die sich in Knochenzellen verwandeln können? «Jedes Labor zieht ein anderes Protein an der Zelloberfläche vor, nach denen es die Zellen sortiert», erklärt Maniura. Dabei ist bei diesen Oberflächeneiweissen meist weder die Funktion klar, noch wie spezifisch sie für mesenchymale Stammzellen sind. Entsprechend widersprechen sich auch die Resultate der verschiedenen Forschungsteams. Der Workshop hat jetzt etwas mehr Klarheit geschaffen: «Es war sehr nützlich, dass wir unsere verschiedenen Methoden jetzt alle mal verglichen haben», sagt Bruinink.

 
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Angeregt diskutieren (v.l.n.r.) Prof. Dr. Moustapha Kassem, University Hospital of Odense (DK), PD Dr. Heide Siggelkow, Med. Fakultät der Universität Göttingen (DE), Dr. Arie Bruinink, Leiter MaTisMed, Empa St. Gallen
 

Am zweiten Tag diskutierten die anwesenden Forscherinnen und Forscher, welches die optimalen Bedingungen sind, damit sich die Zellen in die gewünschte Richtung differenzieren. Danach ging es um das «Phenotyping» – das heisst, die Suche nach Molekülen, die anzeigen, in welche Richtung sich eine Zelle gerade entwickelt. «Wir sparen viel Zeit und Geld, wenn wir früh feststellen können, ob eine Zelle zu einer Fett-, Knorpel- oder sonst einer Zelle wird», so Maniura.

Am letzten Tag folgte schliesslich eine offene Diskussion über den Verlauf des Treffens. Widersprüche, die während des Kongresses auftraten, wurden besprochen, weitere Vorgehensweisen erörtert und neue Projektideen entwickelt. «Es kam eine sehr produktive Diskussion zu Stande», freut sich Bruinink.

 

Unerwünschte Fettzellen

An der Empa beschäftigt sich das Team MaTisMed von Arie Bruinink unter anderem mit den mesenchymalen Stammzellen. Im Vordergrund steht dabei die Forschung an der Schnittstelle zwischen den lebenden Zellen und dem Material, das bei Implantaten sowie bei der Gewebezucht zum Einsatz kommt. Das Team versucht, die Stammzellen in Kultur dazu zu bringen, sich in den richtigen Gewebetyp zu differenzieren. Mit der richtigen Konzentration von Vitamin C und D sowie einer Phosphatquelle klappt es manchmal. Häufig entwickeln sich die Zellen aber zu Fettzellen – «natürlich nicht das, was wir suchen», meint Bruinink.

 Der Grund für diese unerwünschte Differenzierung liegt vermutlich in der Herkunft der Zellen. Das MaTisMed Team erhält sie vom Kantonsspital St. Gallen, wo sie bei Hüftoperationen anfallen. Weil dabei die Spender meist älter und wegen ihrer Hüftprobleme körperlich nur wenig aktiv sind, ist das genetische Programm ihrer mesenchymalen Stammzellen auf «Fettzelle» statt auf «Knochen» eingestellt – ein Problem, das man an der Empa zu lösen versucht. Der Stammzell-Workshop hat dafür wichtige Impulse geliefert. Die beiden Initiatoren hoffen deshalb, dass sich das europäische Meeting in Zukunft regelmässig durchführen lässt. Sicher ist, dass die drei Tage an der Empa die Erforschung der mesenchymalen Stammzellen einen grossen Schritt weitergebracht hat und dass in Zukunft die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Labors enger funktionieren wird.

Autor:

Felix Straumann, dipl. Biologe, freischaffender Wissenschaftsjournalist

Kontakte:

Sabine Voser, Abt. Kommunikation / Marketing, (Text und Bild-Kontakt)

Dr. Katharina Maniura, MaTisMed, +41 71 274 74 47, (Fachlicher Kontakt)

Dr. Arie Bruinink, Leiter MaTisMed, +41 71 274 7695, (Fachlicher Kontakt)