10. Wissenschaftsapéro

Wie gefährlich ist ein Kleiderbrand?

12-feb-2003 | REMIGIUS NIDERÖST

«Wenn der Rock brennt – wie viel hält die Kleidung aus?» Zu dieser Frage referierten am jüngsten Wissenschaftsapéro an der Empa-Akademie Fachleute der Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu), der Eidg. Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) sowie des Bundesamtes für Gesundheit (BAG).

https://www.empa.ch/documents/56164/318676/a592-2003-02-12-b1s_surfaceflash.jpg/1d70d983-2f85-43ce-b7b1-f872cce254dc?t=1448301606000
Surface flash an der Gliederpuppe Henry
 

«Kleider machen Leute» heisst es schon bei Gottfried Keller. Weil das so ist, kleiden Mann und Frau sich gerne modisch und achten beim Kauf u.a. darauf, ob das gewählte Kleidungsstück farblich up-to-date ist, einen modischen Schnitt aufweist, das richtige Designer-Label trägt und ob der Stoff qualitativ gut ist. Wichtig ist auch die leichte Pflege, denn wer will schon alles in die Reinigung geben? Ein Punkt, der beim Kauf wenig bis gar nicht zählt, ist hingegen die Brandsicherheit eines Kleidungsstücks.

 
v.l.n.r.: Dr. René Rossi (Empa), Eva Reinhard (BAG), Martin Hugi (bfu)
 

Kleider können gefährlich sein

Wer nicht gerade Feuerwehrbekleidung einkauft, interessiert sich in der Regel nicht für das Brandverhalten eines Textils. Gemäss Martin Hugi von der Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) sind Kleiderbrände zwar kein Schwerpunkt beim Unfallgeschehen, wenn jedoch etwas passiert, ist das sehr einschneidend für die Betroffenen. Durchschnittlich bis zu 400 Personen pro Jahr werden in der Schweiz bei Kleiderbränden so stark verletzt, dass sie ärztlich versorgt werden müssen. Bis zu fünf davon sterben an ihren Verletzungen. Ein Kleiderbrand ist schnell passiert: Beim Kochen gerät eine weite Bluse am Gasherd in Flammen, ein T-Shirt entzündet sich am heissen Grill, eine Kerze löst beim Bademantel aus Frottee einen so genannten «surface flash» aus, einen Oberflächenbrand. Auch wenn die Ursache dafür oft mangelnde Vorsicht, unsachgemässes Hantieren oder generell ein Fehlverhalten ist, muss doch bei der Sicherheit der Bekleidung angesetzt werden. Die bfu verlangt deswegen eine strikte Einhaltung und Umsetzung der in der Brennbarkeitsverordnung (BrbV) festgelegten Flammenausbreitungsgeschwindigkeit (FAG) von maximal 90 Millimeter pro Sekunde. Sie bemängelt zudem die fehlende Warendeklaration bei den Kleidern. Hersteller, Importeure und Händler müssten bei der Gebrauchssicherheit ihre Verantwortung stärker wahrnehmen, fordert Martin Hugi.

 

Gliederpuppe Henry geht für uns durchs Feuer

Die Resultate einer kürzlich abgeschlossenen Studie stellte René Rossi von der Empa vor. Darin waren die in der Brennbarkeitsverordnung gestellten Anforderungen an Textilien auf ihre Praxistauglichkeit untersucht worden. Eine kontroverse Frage war, ob leichte Materialien mit sehr schneller Flammenausbreitung überhaupt massgebliche Verbrennungen auf der Haut verursachen oder ob sie zu schnell abbrennen, um einen gefährlichen Hitzetransfer zu ermöglichen. Die Veränderungen der Brennbarkeit von Textilien durch den Gebrauch (Tragen, Waschen, Tumblern) oder die Einflüsse des Klimas wurden ebenfalls untersucht.

Für die Untersuchungen an der Empa hielt die mit Temperatursensoren gespickte Gliederpuppe Henry seinen Kopf rsp. seine «Haut» hin. Die Ergebnisse zeigten klar, dass jeglicher Kontakt der Haut mit einer offenen Flamme Verbrennungen verursacht. Die Hypothese, dass sehr leichte Zellulosematerialien so schnell abbrennen, dass sie die Haut nicht verbrennen, wurde nicht bestätigt. Die FAG, die in der Brennbarkeitsverordnung festgelegt ist, scheint aber ein gutes Kriterium zu sein, um die Sicherheit von Bekleidungen aus Naturfasern zu eruieren. Dies bedeutet, dass leichte Materialien, die diesen Wert überschreiten, entweder vom Markt zurückgezogen oder flammhemmend ausgerüstet werden müssen.

Bei den Messungen mit der Puppe zeigte sich jedoch, dass einige Mischungen mit relativ hohen Anteilen an Zellulosefasern, kombiniert mit schmelzenden Synthetikfasern, unter Umständen eine erhöhte Gefahr für den Träger oder die Trägerin darstellen. Bei diesen Materialien wäre die Berücksichtigung des Wärmetransfers notwendig, um das Gefahrenpotential zu ermitteln. Der Wärmetransfer wird in der BrbV nicht berücksichtigt.

 

Flammschutzmittel bergen Chancen und Risiken

Zu den Flammschutzmitteln und deren Einsatz referierte die Biologin Eva Reinhard vom Bundesamt für Gesundheit (BAG). Sie zeigte, dass diese Chemikalien in den unterschiedlichsten Bereichen des täglichen Lebens Verwendung finden. So z.B. in elektrischen und elektronischen Geräten, Polstermöbeln, Anstrichstoffen und weit verbreitet auch in Textilien. Mehrere dieser Mittel sind toxikologisch nicht ausreichend geprüft und stehen in Verdacht, gesundheitsschädigende Langzeitwirkungen zu erzeugen. Die Aufnahme über die Haut oder die Lunge sowie über die Plazenta ins ungeborene Leben spielt dabei die entscheidende Rolle. Generell sollte eine Exposition gegenüber Giften vermieden werden. Bei Flammschutzmitteln allerdings sind Risikoabschätzungen vorzunehmen. Die Gefahr, im Fall von Feuer schwere gesundheitliche Schäden durch Verbrennungen zu erleiden, ist grösser als die mögliche schädigende Wirkung von Flammhemmern auf den Organismus. Grundsätzlich, so postulierte Eva Reinhard, soll die Summe aller Risiken jedoch so klein als möglich gehalten werden.

 

Heisse Diskussion entfacht

Anschliessend an die Referate ergab sich zwischen den ReferentInnen und dem Publikum eine heisse Diskussion. Während ein Vertreter der Textilindustrie befürchtet, dass bei der konsequenten Einhaltung der Brennbarkeitsverordnung zu viele Textilien nicht mehr in der Schweiz verkauft und auch nicht exportiert werden dürften, sieht ein Zuhörer schwarz für den Import von Ökotextilien aus Entwicklungsländern. Pointiert äusserte dazu bfu-Mann Hugi seine Meinung: Es dürfe doch nicht angehen, dass wirtschaftliche Interessen über die Sicherheit von Personen gestellt würden. Er sei überzeugt, dass die Textilindustrie durch vermehrte Forschung und Entwicklung in der Lage sei, die Brennbarkeitsverordnung einzuhalten und gleichzeitig attraktive Textilien zu produzieren. – Eine Aufgabe, bei der die Empa gerne mithilft.

 

Was ist der Wissenschaftsapéro?

An den regelmässig stattfindenden Wissenschaftsapéros greift die Empa-Akademie fachlich und gesellschaftlich relevante Themen auf. In drei bis vier halbstündigen Vorträgen präsentieren ReferentInnen aus Forschung, Politik und Wirtschaft Ergebnisse und Ansichten zu einem vorgegebenen, aktuellen Inhalt. Anschliessend stehen sie auch den nicht aus dem Fach stammenden Gästen entweder in der Diskussionsrunde oder beim Apéro Rede und Antwort. Der nächste Wissenschaftsapéro findet statt am 7. April 2003 zum Thema «Krach im Himmel – wie sehr belastet uns der Fluglärm?»

 
 
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