Elektrizität in Entwicklungsländern

Lokale Stromnetze nach Mass

01.04.2021 | STEFANIE ZELLER

Die Empa-Forscherin Cristina Dominguez entwickelt in ihrer Doktorarbeit ein Computermodell, mit dem sich Stromnetze in Entwicklungsländern planen lassen. Für die Datenerhebung reiste sie nach Kenia, um sich ein Bild davon zu machen, wie Menschen ohne Stromanschluss leben und welche Entwicklungen der Zugang zu elektrischer Energie anstossen kann.

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Sauberes Licht: LED-Lampen ersetzen in Afrika offene Feuer und Petroleumlampen. Bild: Empa / ETH

Dass Strom nicht nur für die leuchtenden Displays unserer zahlreichen Gadgets sorgt, sondern in weiten Teilen der Welt überhaupt erst gesunde, saubere Wohnräume oder gar den Zugang zu Bildung ermöglicht, geht in unserer hochdigitalisierten Welt schnell vergessen. Viele Entwicklungsländer stecken mit ihrer tiefen Elektrifizierungsrate im Teufelskreis der Armut fest. Ohne Beleuchtung im Haus fehlen Möglichkeiten für wertschöpfende Arbeit abseits der Landwirtschaft. Kinder können abends die Hausaufgaben nicht mehr erledigen oder lesen lernen. Hinzu kommen Gesundheitsprobleme, die oft durch rauchende Feuerstellen im Haus oder russende Kerosinlampen verursacht werden.

Der Zugang zu sauberer Energie gilt generell als Sprungbrett, um ein höheres Einkommen zu generieren und damit der Armut zu entkommen. Daher wurde dies auch als eines der 17 UN-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung festgelegt. Anknüpfend an dieses Ziel, entwickelt Cristina Dominguez, Doktorandin am Institut für Bauphysik der ETH Zürich und im Urban Energy Systems Lab der Empa ein Computermodell, das Projektentwicklern in ländlichen Gegenden Abschätzungen über den Strombedarf von Haushalten liefert. Das soll eine genaue und damit nachhaltige Planung des Stromnetzes ermöglichen.

Ein Modell für viele Regionen
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Bei der Datenerhebung in Kenia bekam Cristina Dominguez (rechts) Unterstützung von Helfern vor Ort. Bild: Empa / ETH

Denn Elektrifizierungsprojekte scheitern in Entwicklungsländern oft daran, dass kaum verlässliche Daten für die Bedarfsermittlung der oft weit verstreuten Haushalte verfügbar sind. Gerade die Datenerhebung ist ein grosser Kostenpunkt, der Projektentwickler zögern lässt, dort zu investieren. Wird ein Stromnetz dann etwa zu gross geplant, wird das auf die Strompreise umgewälzt, was den Strom für die arme Bevölkerung unerschwinglich macht. Letztendlich müssen Stromnetze massgeschneidert werden, um einerseits den Menschen langfristig zu nützen und andererseits Entwicklern eine attraktive und realistische Investitionsmöglichkeit zu bieten.

Für die Datenerhebung wählte Dominguez eine Gegend im subsaharischen Afrika, weltweit die Gegend mit der niedrigsten Elektrifizierungsrate: «Neben den politischen Problemen kommt hinzu, dass die Gegenden hier extrem dünn besiedelt sind und die kleinen Siedlungen sehr weit verstreut. Das macht eine Elektrifizierung deutlich schwieriger – und natürlich auch teurer», so Dominguez. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit ermittelte sie im Osten Kenias Energienutzung und -bedarf von rund 250 Haushalten. Um ihr Modell am Ende weltweit anwendbar zu machen, unterstützen sie Forschungsinstitute in Guatemala und Pakistan, um ihr äquivalente Datensätze aus diesen Ländern zu liefern.

Entwicklungsschub mitdenken
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Ohne Beleuchtung sind dunkle Innenräume begrenzt benutzbar. Kerosinlampen erzeugen giftigen Russ und gefährden die Gesundheit. Zudem ist Kerosin teuer. Einige Haushalte nutzen bereits kleine Solarleuchten, um diesen Problemen zu entkommen. Bild: Empa / ETH

Dominguez erfasste bei ihrer Feldarbeit in Kenia Daten von Haushalten ohne Stromzugang und von solchen, die innerhalb der letzten sechs Jahre an ein Stromnetz angeschlossen worden waren. Ihr ging es nicht nur darum, vorhandene Energiequellen und deren Bedarf zu erfassen, sondern auch den Nutzungswandel nach der vollzogenen Elektrifizierung. Zudem nutzte die Empa-Forscherin Tagebücher, in denen die Bewohner ihre Tätigkeiten festhielten, denen sie über den Tag nachgegangen waren, um den Alltag und die Bedürfnisse der Menschen besser kennenzulernen und Veränderungen zu antizipieren, die nach der Elektrifizierung einsetzen und sich dann in der Stromnachfrage niederschlagen. In Kenia ist beispielsweise Kerosin eine wichtige Energiequelle, um die dunklen Lehmhütten zu beleuchten. Um an das Kerosin zu kommen, müssen oft längere Fussmärsche zum Händler zurückgelegt werden. Zeit, die zukünftig vielleicht in wertschöpfende Arbeit zu Hause investiert werden könnte – wenn denn eine Stromquelle vorhanden wäre.

Und ist die Stromversorgung erst einmal vorhanden, fangen die Menschen an, ihr Verhalten danach auszurichten; sie schaffen sich elektrische Geräte wie Fernseher an, der Stromverbrauch steigt dementsprechend. Doch wie lange kann das Stromnetz dann noch funktionieren, wenn die Nachfrage immer weiter ansteigt? Genau diese Dynamiken will Dominguez in ihr Modell einbringen: «Bei unseren Erhebungen vor Ort befragten wir die Leute, welche Geräte sie nach dem ersten Jahr bzw. zweiten Jahr mit Stromanschluss kaufen würden. Dies glichen wir dann mit Haushalten ab, die diesen Prozess bereits hinter sich hatten.» Dadurch wollte Dominguez herausfinden, wie die Menschen mit Energie umgehen würden, wenn sie ihnen zur Verfügung steht. Ingenieure könnten dies oft nicht richtig einschätzen, weiss Dominguez aus ihren Recherchen: «Hier existieren grosse Vorurteile, die oft darin münden, dass Stromversorgungssysteme zu gross angelegt werden.»

Massgeschneiderte Stromnetze

Um passgenaue Vorhersagen machen und Verbrauchsdynamiken erkennen zu können, wendet Dominguez «Machine Learning»-Algorithmen und «Data Mining»-Techniken an. Um die Modelle zu erstellen, kombiniert die Forscherin globale Datensätze von Organisationen wie der Weltbank mit Daten von Projektentwicklungsfirmen, so dass sie zusätzliche Verbrauchsmuster wie saisonale Schwankungen miteinbeziehen kann. Diese werden dann für die drei Schwerpunktregionen anhand von Felddaten aus Kenia, Pakistan und Guatemala validiert. Auch Mini-Grid-Unternehmen haben ihr Daten zum Stromverbrauch zur Verfügung gestellt, um im Gegenzug ihr Modell anhand der lokalen Gegebenheiten testen zu dürfen.

Cristina Dominguez‘ Ansatz zeigt die Probleme auf, vor denen Entwicklungsländer mit kaum vorhandener Infrastruktur stehen: Obwohl technische Möglichkeiten für eine Elektrifizierung vorhanden sind und mit der Solartechnik auch günstiger geworden sind, müssen Investitionen in einem schwachen wirtschaftlichen Umfeld wohlüberlegt erfolgen. Sonst drohen Überschuldung seitens der Stromnutzer und schlimmstenfalls auch seitens der Betreiberfirmen – insgesamt ein Risiko, die Armut zu verschlimmern und Abschreckung für andere, in diese Gegenden zu investieren. Im Computermodell von Dominguez liegt das Potential zumindest eine Hürde für die Elektrifizierung zu überwinden und damit den Anstoss für einen Weg aus der Armut zu liefern.

Mehr Informationen zum Thema finden Sie unter: www.empa.ch/web/s313

 

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