Neue Leitung der Abteilung "Biomaterials"

Die auf Bakterien baut

Oct 28, 2008 | MARTINA PETER

Nicht immer verlief der Lebensweg von Linda Thöny-Meyer geradlinig. Nicht, als sie sich als 19-Jährige für ein Studium entscheiden musste, und auch nicht, als sie sich vermeintlich für immer von der Forschung verabschiedete, um Patentanwältin zu werden. Schliesslich obsiegten trotzdem die Liebe zur Wunderwelt der Mikrobiologie und das nicht nachlassende Interesse für biotechnologische Zusammenhänge.

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«Ich mag Überraschungen», sagt Linda Thöny und denkt dabei an ihr Studium zurück. «Was wir in einem Ferienkurs in Meeresbiologie mit Netzen aus den Tiefen des Ozeans raufholten, das waren wunderschöne Überraschungen.» Ähnliche Emotionen hätte sie im Labor gespürt: «Wenn Du wartest, lange nichts siehst und in der Dunkelkammer dann plötzlich etwas erkennst … und dann auch begreifst, was das Gesehene bedeutet – das ist für mich überwältigend.» Solche Momente waren ein Grund, weshalb Thöny sich für die Mikrobiologie entschieden hat. Nach dem Diplom promovierte sie am Institut für Mikrobiologie an der ETH bei Professor Hauke Hennecke mit einer Arbeit über ein neu entdecktes Atmungsenzym. Einer Weiterbildung in Australien folgte schon bald ein zweiter, längerer Aufenthalt an der renommierten amerikanischen Stanford University School of Medicine.


Von der Mikrobiologie in der Schweiz zu den Myxobakterien in den USA
Beim Pionier der Myxobakterien, Dale Kaiser, lernte sie viel Neues über Entwicklungsbiologie. «In meinen Studien beschäftigte ich mich mit dem kommunikativen Verhalten dieser Lebewesen, welche im Übergang von ein- zu mehrzelliger Lebensweise stehen, und studierte, wie Myxobakterien zusammen auf ihre Umwelt reagieren.» Myxobakterien sind unter anderem deshalb so interessant, weil sie medizinisch und industriell nutzbare chemische Stoffe produzieren, die als Antibiotika oder in der Krebsbekämpfung verwendet werden können.
1992 kehrte Linda Thöny als Oberassistentin ans Institut für Mikrobiologie der ETH zurück und habilitierte fünf Jahre später zum Thema «Biogenese von Atmungsketten-Proteinen in Bakterien». Zwei Jahre später trat sie eine Assistenzprofessur an der ETH an, fand Befriedigung in der Forschungsarbeit mit ihrem Team und hatte Spass an den Führungsaufgaben. Allein – eine feste Anstellung war immer noch nicht in Aussicht. Doch als sie 2004 der Ruf einer renommierten amerikanischen Universität ereilte, zögerte sie: «Nochmals eine befristete Anstellung, weit weg von Familie und Freunden – das war keine Perspektive mehr.» Trotz all der Vorteile eines amerikanischen Universitätslebens, mit Experimenten rund um die Uhr dank flexiblen Laboröffnungszeiten und trotz anregenden Umständen, die sie Eigenständigkeit und Durchsetzungsvermögen gelehrt hatten, entschied sie sich gegen eine Professur an der Pennsylvania State University.


Ein radikaler Schnitt und zwei Neuanfänge
Überrascht stellte Thöny fest, dass beruflich noch eine ganz andere Herausforderung auf sie wartete. Sie entdeckte das Stelleninserat eines Patentanwaltbüros, das ihr plötzlich Türen zu einer neuen Welt und einem sicheren Job öffnete. Mit einem Nachdiplomstudium der Université de Strasbourg liess sie sich zur Patentanwältin ausbilden. «Ich habe damals meine Forschungsarbeit regelrecht beerdigt, meine Unterlagen verschenkt – sogar an die Konkurrenz. Es war wirklich ein radikaler Schnitt.» – Wenn da nur nicht wieder ein Stelleninserat gewesen wäre, mit einer neuerlichen Überraschung.

 
  «Es war ein kleiner Schock, als ich das Profil im Inserat der Empa las. Die Stellenbeschreibung war perfekt auf mich zugeschnitten.» Die Aussicht, die Abteilung «Biomaterialien» neu aufzubauen, faszinierte sie, für die Forschung schlug ihr Herz noch immer, und die Erfahrungen, die aus der Industrie mitzubringen waren, hatte sie sich in ihrer Arbeit als Patentanwältin angeeignet. Sehr rasch entschied sie, die Stelle anzunehmen, obwohl es ihr schwer fiel, dem Anwaltsbüro wieder den Rücken zu kehren.
 

«Weisse» Biotechnologie nutzt Werkzeuge der Natur
In Thönys Abteilung steht heute die Entwicklung von Biomaterialien und Biomolekülen für medizinische und industriell interessante Anwendungen im Zentrum. Die «weisse» Biotechnologie, die Werkzeuge der Natur und Organismen für die industrielle Produktion einsetzt, gewinnt zusehends an Bedeutung. Thöny erklärt: «Viele Mikroorganismen haben die Fähigkeit, dank spezieller Enzyme neue Werkstoffe herzustellen. Ich suche mit meinem Team nach Wegen, wie wir Mikroorganismen anregen können, in grösserem Massstab solche Biomasse zu produzieren. Das ist für unsere Partner in der Industrie ausserordentlich attraktiv.»

 
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Deshalb steht in der Empa seit kurzem ein Hightech-Bioreaktor, in dem Bakterien in einer definierten Nährstoffsuppe gezielt zur Produktion wertvoller Biopolymere – chemischer Verbindungen aus Monomeren – angeregt werden. «Wir arbeiten aber auch mit Proteinen. Beispielsweise optimieren wir zusammen mit der Firma Glycovaxyn, einem Biotech-Startup, die mikrobielle Produktion bestimmter Impfstoffe », gibt Thöny Auskunft. Als Patentanwältin hat sie gelernt, vorsichtig zu formulieren, wenn es um Pläne geht. Deshalb möchte sie die Details nicht weiter erläutern.

 
Kampf den Bakterienteppichen
Für den Kampf gegen schleimige Bakterienteppiche, so genannte Biofilme, lassen sich Biopolymere  ebenfalls rekrutieren. «Wir wollen wissen, wie die unerwünschten Beläge entstehen, und wie wir sie mit «Antifouling»-Methoden und unseren Polymeren am besten bekämpfen und verhindern», sagt Thöny. Die übel riechenden Filme können Krankheitserreger enthalten und die Gesundheit beeinträchtigen: Besonders bei medizinischen Implantaten sind sie gefürchtet, da sie schlimme Entzündungen hervorrufen. Hier gilt es, Oberflächen zu kreieren, die das Ausbreiten der Biofilme verhindern. Die natürlichen, biokompatiblen Polymere aus dem Bioreaktor eignen sich dafür bestens. Sie sind Träger für Moleküle, die verhindern, dass sich der Bakterienschleim ansiedelt.
Biofilme sind nicht nur medizinisch gesehen eine Herausforderung, auch in der Raumforschung sind sie ein Thema. Denn die Beläge siedeln sich gern auf schlecht zu reinigenden Oberflächen an: Das stellt Weltraumstationen, wo eine Sterilisation nicht möglich ist, vor Probleme. Die Empa führt deshalb mit der ETH Zürich, ausgehend von einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit der European Space Agency (ESA) auf dem Gebiet des «Antifoulings», eine Studie zu Biofilmen unter Mikrogravitation durch. Ihr Schwerpunkt: Wie verhalten sich die Bakterienteppiche, wenn sie den Bedingungen des Weltraums ausgesetzt sind? Und schliesslich noch ein letztes Beispiel: Die schleimigen Beläge beschleunigen die Korrosion technischer Systeme – auch im Haushalt. Darum widmet sich ein KTI-Projekt zusammen mit dem Empa-Spin-off «Empa Test Materials» dem Thema «Biofilme in Waschmaschinen ».
Die Arbeit in der Abteilung «Biomaterialien » ist abwechslungsreich und steckt – auch thematisch – voller Überraschungen: vom Haushalt bis zum Weltall liegt alles drin. «Ich habe den Entscheid, an die Empa zu kommen, noch keine Minute bereut», bekennt Thöny.
 


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