«Sprechende» Wahlkampfwerbung

Wahlkampf auf Kosten der Umwelt?

Sep 21, 2007 | MICHAEL HAGMANN
Nicht schlecht haben wohl einige Zürcher und Zürcherinnen gestaunt, als sie dieser Tage in ihrem Briefkasten eine neue Art von Wahlkampfwerbung vorfanden: ein Päckchen, aus dem beim Öffnen die Stimmen zweier Nationalratskandidaten erklangen. Nachdem in einigen Schweizer Medien die Umweltverträglichkeit der Wahlkampfsendung angezweifelt wurde – der «BLICK» bezeichnete sie als «Sondermüll» – hat die Empa eine detaillierte Ökobilanz der «Hightech-Päckchen» erstellt. Sie belasten die Umwelt mindestes 10-mal mehr als herkömmliche Wahlsendungen, so das Ergebnis der Blitzanalyse.
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Auf der Innenseite des «sprechenden» Päckchens sind ein kleiner Lautsprecher, eine Leiterplatte sowie drei Knopfzellen befestigt. Einige EmpfängerInnen werden sich wohl gefragt haben, ob ein solcher Aufwand aus ökologischer Sicht gerechtfertigt ist. Die Empa ist dieser Frage nachgegangen und hat eine vereinfachte Ökobilanz des Päckchens durchgeführt, um die Gesamtumweltbelastung bei der Produktion eines solchen Werbemittels zu bestimmen.

 
Ökologische Gesamtbelastung des «elektronischen» Pakets im Vergleich zu einem klassischen Brief (= 100%).
 

Das Ergebnis ist eindeutig: Werden die Auswirkungen der Herstellung auf das Klima betrachtet – also die Menge der dabei anfallenden Treibhausgase –, so verursacht ein klassischer Brief eine rund 15-mal kleinere Belastung als ein derartiges sprechendes Paket. Bei einer ökologischen Gesamtbetrachtung, in die neben dem Klimaeffekt alle anderen relevanten Umweltbelastungen einbezogen und in «Umweltbelastungspunkte» (UBP) umgerechnet werden, weist das elektronische Päckchen gar eine 10- bis 25-mal grössere Umweltbelastung auf. Der weitaus grösste Teil der Umweltbelastung – 75 bis 85 Prozent – wird dabei allein durch die Herstellung der eingebauten Elektronik (Leiterplatten, Batterien, Lautsprecher) verursacht; die Kartonschachtel und die beiliegenden drei Postkarten machen rund 15 bis 25 Prozent aus.

 

SchweizerInnen sind verpflichtet, die «sprechenden» Päckchen umweltgerecht zu entsorgen

Das zweite Problem der Elektropäckchen ist deren fachgerechte Entsorgung. Gemäss der aktuell geltenden Chemikalien-Risikoreduktionsverordnung sind die VerbraucherInnen in der Schweiz verpflichtet, Batterien separat über dafür vorgesehene Sammelstellen zu entsorgen. Dies gilt erst recht, wenn es sich wie hier um Knopfzellen handelt, die unter anderem den besonders gefährlichen Schadstoff Quecksilber enthalten können. Im vorliegenden Fall ist aber kaum mit einer korrekten Entsorgung zu rechnen, weil Wahlwerbung erfahrungsgemäss häufig direkt im Abfallsack landet.

Vergleichen wir das elektronische Päckchen hinsichtlich Umweltbelastung mit Printmedien, so entspricht ein Päckchen sechs «BLICK»-Ausgaben. Anstatt den Werbetext abzuhören, hätte eine Familie aus Umweltsicht also auch eine Woche lang den «BLICK» lesen können – und dabei sind die Entsorgungsprobleme im Zusammenhang mit der enthaltenen Elektronik noch nicht berücksichtigt.

Empa-Forscher um Lorenz Hilty von der Abteilung «Technologie und Gesellschaft» in St. Gallen berechneten die Ergebnisse unter Verwendung der Datenbank «ecoinvent» des ETH-Bereichs. Die neueste Version dieser Datenbank – ab Mitte November 2007 erhältlich – wird auch ökologische Basisdaten für zahlreiche Elektronikprodukte beinhalten, die von den Empa-Forschern über die letzten zwei Jahre erarbeitet wurden.

 
Knopfzellen müssen in den dafür vorgesehenen Sammelstellen entsorgt werden, da sie unter anderem Quecksilber enthalten können.
 

«Aus ökologischer Sicht erscheint der Aufwand für derartige elektronische Wahlkampfbotschaften also sehr hoch», sagt Hilty. Ausserdem werde den EmpfängerInnen ein erheblicher Aufwand aufgebürdet, wenn sie das Päckchen korrekt entsorgen wollten: Herauslösen der Elektronik aus dem Päckchen, Entfernen der drei Knopfbatterien (Herausschieben mit Schraubenzieher), getrennte Entsorgung von Karton, Batterien und Elektronik (bei jeder Verkaufsstelle für Elektrogeräte). Einfacher sei es, lediglich die Batterien zu entfernen, getrennt zu entsorgen und den Rest in den Hausmüll zu werfen. Die Elektronik wird dann in der Kehrichtverbrennungsanlage verbrannt. Dies sei zwar nicht «ganz korrekt», erscheint aber aufgrund der geringen Mengen vertretbar. Die Batterien sollten allerdings keinesfalls über den Hausmüll entsorgt werden, so Hilty.

 

Fachliche Informationen:
Prof. Lorenz Hilty, Technologie und Gesellschaft, Tel. +41 71 274 73 45,

Redaktion:
Dr. Michael Hagmann, Kommunikation, Tel. +41 44 823 45 92,