Wege aus der Energiekrise

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg

12.12.2022 | PETER RICHNER

Klimakrise, Energieknappheit, Atomausstieg. Wir müssen unser Energiesystem umstellen. So viel ist klar. Dass es aufwändig und kostspielig ist, auch. Doch vieles liegt an uns, sagt Peter Richner, Energieexperte und stellvertretender Direktor der Empa. Denn: Viele Technologien stehen bereits zur Verfügung, werden aber bislang (zu) wenig genutzt.

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Zukunftsvision: Windkraft und Solarzellen, Wasserstoff und andere nachhaltige Energieträger sind Hoffnungsträger – doch die Umstellung benötigt Ideen und viel Zeit. Bild: istockphoto.com

In den zurückliegenden Jahrzehnten war die permanente Verfügbarkeit von günstiger Energie eine Selbstverständlichkeit, die kaum ernsthaft hinterfragt wurde. Der Klimawandel einerseits und der geplante Ausstieg aus der Kernenergie andererseits haben zwar Diskussionen über einen Umbau unseres Energiesystems angestossen, die dazu notwendigen Massnahmen wurden aber bisher nur zögerlich umgesetzt.

2022 hat sich diese Situation radikal verändert. Insbesondere in Europa – und damit auch in der Schweiz – kam es zu einer massiven Verknappung der verfügbaren Energie. Als Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine versiegten die Gaslieferungen aus Russland, die bis anhin mehr als 30% des europäischen Bedarfs deckten, fast vollständig. Gleichzeitig sind derzeit nur rund 50% der französischen Kernkraftwerke am Netz, da während der Pandemie die Revisionsarbeiten in Rückstand gerieten und zusätzlich Korrosionsprobleme an Leitungen auftraten, die langwierigere Untersuchen nach sich zogen.

Verzehnfachung des Strompreises
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Peter Richner, stellvertretender Empa-Direktor, im «NEST», in dem viele umweltfreundliche Bau- und Energietechnologien für die Zukunft realisiert und erprobt werden. Bild: Empa

Die daraus resultierende Verknappung des Energieangebots hat die Preise auf breiter Front massiv nach oben getrieben, vor allem für Gas und Strom. Kurzzeitig wurden an den Terminmärkten Strompreise für das erste Quartal 2023 von mehr als 1'000 € pro MWh erzielt – eine Verzehnfachung innert eines Jahres! Um Angebot und Nachfrage wieder einigermassen ins Gleichgewicht zu bringen, stehen kurzfristig Effizienz- und Einsparmassnahmen im Vordergrund. Mittel- und langfristig geht es darum, Energie aus anderen Quellen verfügbar zu machen, die zudem erneuerbar sein und tiefe CO2-Emissionen aufweisen müssen. Material- und technologieorientierte Forschung, wie sie an der Empa betrieben wird, bildet die Basis, auf der praxistaugliche Antworten auf diese Herausforderungen entwickelt werden können.

Ein massiver Umbau unseres Energiesystems innert weniger Monate oder Jahre ist unmöglich, selbst wenn sich das derzeit viele wünschen. Die Erstellung von alpinen Solaranlagen und die dazugehörigen Anpassungen am Stromnetz, die Erhöhung von Staumauern von Speicherkraftwerken und der Umstieg auf erneuerbar erzeugten Wasserstoff für industrielle Hochtemperaturanwendungen ist mit enormen Investitionen verbunden und ist nicht von heute auf morgen umsetzbar. Daher sollten wir aktuell in erster Linie auf Effizienz- und Einsparmassnahmen fokussieren. Am schnellsten und einfachsten lassen sich – zumindest theoretisch – Verhaltensänderungen umsetzen, diese sind oft eine reine Frage des Willens. Ein Absenken der Raumtemperatur im Winter ist das offensichtlichste Beispiel, damit lässt sich rund 6-7% Energie einsparen – pro Grad.

Ein Viertel Heizenergie sparen

Verzichten ist jedoch schwer, doch es gibt durchaus Möglichkeiten ohne merkliche Einbussen an Komfort oder Leistung den Energiebedarf signifikant zu senken. Insbesondere die Digitalisierung bietet hier ganz neue Möglichkeiten. Felix Bünning und Benjamin Huber aus der Abteilung «Urban Energy Systems» haben einen datenbasierenden Kontrollalgorithmus für die Regelung der Raumtemperatur entwickelt und im NEST auf Herz und Nieren getestet. Mit Hilfe eines Temperatursensors lässt sich innerhalb von zwei Wochen ein raumspezifisches Modell erstellen, das in Kombination mit Wettervorhersagen für die Steuerung der Heizung und Kühlung eingesetzt wird. Dies geschieht völlig automatisch via machinellem Lernen, ohne dass die physikalischen Gegebenheiten eines Gebäudes bekannt sein müssen. So kann diese Technologie einfach, schnell und ohne technische Anpassungen in zahlreichen Gebäuden implementiert werden. Im Vergleich zu einer herkömmlichen Heizungssteuerung kann der Energieverbrauch um 20-30% reduziert werden, wie ein gross angelegter Versuch im Verwaltungsgebäude der Empa in Dübendorf im Winter 2021/2022 zeigte. Und: Rund 90% der Mitarbeitenden gaben an, keine Komforteinbussen festgestellt zu haben. In der Zwischenzeit haben die beiden Forscher das Start-up «viboo» gegründet und sind voller Elan daran, einmal mehr zu beweisen, dass «Empa – The Place where Innovation Starts» weit mehr als nur ein Slogan ist.

Eine Frage des Preises

Zahlreiche weitere Lösungen lägen parat, ihr Potential und ihre Machbarkeit haben sie in den letzten Jahren im Labor und in ersten Demonstrationsprojekten unter Beweis gestellt. Den Weg in den Markt haben sie indes noch nicht gefunden – schlicht und einfach, weil sie sich zu den früheren Energie- und CO2-Preisen nicht gerechnet haben. Die NEST-Unit «Solare Fitness und Wellness» wartet zum Beispiel mit einem innovativen Energiekonzept auf, mit dem sich der Energieverbrauch von Saunas und Dampfbädern um einen Faktor drei reduzieren lässt; zudem ermöglicht es eine fast ausschliessliche Versorgung mit Solarenergie im Verbund mit Speichertechnologien. Erst jetzt, wo sich Hotels plötzlich mit zehnfach höheren Strompreisen konfrontiert sehen, steigt das Interesse an der Technologie sprunghaft an, und die Chancen stehen gut, dass eine Umsetzung in die Praxis mit Partnern aus der Industrie realistisch wird.

Ähnliches gilt für den flächendeckenden Einsatz von «Smart Meters». Obwohl die Technologie hinlänglich bekannt ist und entsprechende Geräte zur Verfügung stehen, lässt sich die Schweiz Zeit bei der Implementierung; bis 2027 sollen 80% aller Stromzähler durch «Smart Meters» ersetzt sein. Diese sind eine Grundvoraussetzung für die Integration von dezentral gewonnener erneuerbarer Energie und den Lastausgleich auf tiefen Netzebenen. Dies ermöglicht erhebliche Effizienzgewinne auf Quartierstufe, wie Forschungsarbeiten der Empa und ihrer Partner in den letzten Jahre gezeigt haben. In der aktuellen Lage mit unsicherer Stromversorgung wäre der flächendeckende Einbau von «Smart Meters» die Voraussetzung, um die Nachfrage im Falle eines Engpasses gezielt steuern zu können, indem Geräte, deren Betrieb nicht zeitkritisch ist wie Heizung oder Boiler, zentral kontrolliert würden.

Es stehen also viele Lösungen bereit, die nur darauf warten, umgesetzt zu werden, und damit einen massgeblichen Beitrag zu einer klimaneutralen, verlässlichen und bezahlbaren Energieversorung zu leisten. Allerdings braucht es noch weitere Anstrengungen, um den Weg erfolgreich bis zum Ende gehen zu können. Im Vordergrund stehen Lösungen, mit denen sich Energie über unterschiedliche Zeiträume speichern und über grosse Distanzen transportieren lässt. Neue Konzepte für Batterien, die auf unkritischen Ausgangsmaterialien beruhen, und Recyclingkonzepte für die in der Mobilität unerlässlichen Hochleistungsbatterien stehen im Zentrum diverser Forschungsarbeiten an der Empa.

Energieautarkie ist utopisch

Eine vollständige Energieautarkie für die Schweiz ist weder ökonomisch noch technisch sinnvoll. Nebst dem inländischen Ausbau erneuerbarer Energien müssen daher Wege gefunden werden, wie erneuerbare Energie importiert werden kann, insbesondere im Winter. Ob dies aus dem nahen Ausland möglich sein wird, darf bezweifelt werden, da sich die Energiesysteme unserer Nachbarländer ganz ähnlich entwickeln dürften. An anderen Orten auf dieser Welt ist das Potential für die Gewinnung erneuerbarer Energie dagegen gewaltig, etwa in den Wüstengebieten Nordafrikas, des Nahen Ostens oder in Patagonien und Australien. Allerdings ist der Transport über so grosse Distanzen in Form von Strom nicht machbar. Der aus Wind oder Sonne gewonnene Strom muss zunächst in chemische Energieträger wie Wasserstoff, Ammoniak oder synthetische Kohlenwasserstoffe umgewandelt werden. So wird Energie gleichzeitig speicher- und transportierbar. Neue Katalysatoren und katalytische Verfahren sind essentiell, um die chemischen Umwandlungsprozesse möglichst effizient zu gestalten und Energieträger herzustellen, die einen möglichst grossen Nutzen stiften, beispielsweise als Ersatz für (fossiles) Kerosin. Bei all diesen innovativen Ansätzen ist deren Treibhausgasbilanz zentral. Diese sollte «Netto Null» oder – idealerweise – sogar negativ sein, d.h. die Treibhauskonzentration in der Atmosphäre reduzieren.

Dank dem Wissen in Materialwissenschaften und Technologieentwicklung wird die Empa weiterhin neue Lösungen entwickeln, die es ermöglichen, unser Energiesystem auf eine nachhaltige Basis zu stellen. Allerdings müssen wir als Gesellschaft den dazu notwendigen Willen und die zugehörige Ernsthaftigkeit aufbringen, um diesen anspruchsvollen Weg gemeinsam erfolgreich zu bewältigen.

Informationen

Dr. Peter Richner
Ingenieurwissenschaften
Tel. +41 58 765 4140
peter.richner@empa.ch


Redaktion / Medienkontakt
Dr. Michael Hagmann
Kommunikation
Tel. +41 58 765 4592
michael.hagmann@empa.ch


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