Nordische Kombinierer als „Versuchskaninchen“ an der Empa

Schwitzen für die Wissenschaft

27.09.2006 | REMIGIUS NIDERÖST

Sechs Nordische Kombinierer des Schweizer Nationalkaders schwitzen dieser Tage in der Klimakammer der Empa in St. Gallen als Probanden im Dienste der Wissenschaft. Ihre Anstrengung dient dazu, mehr über die Thermophysiologie zu erfahren. Darauf basierend wollen Empa-Forscher bessere funktionelle Textilien entwickeln, welche Hobby- und Spitzensportler dabei unterstützen, auch „im Schweisse ihres Angesichts“ Top-Leistungen zu erbringen.

https://www.empa.ch/documents/56164/303841/a592-2006-09-22-b1m_nordischkombiniererjpg.jpg/d8e6f268-11b7-4a67-8c5e-28cb4423cd1b?t=1448300140000
 

Legende: Michael Hollenstein auf dem Laufband in der Klimakammer der Empa.

Michael Hollenstein joggt seit rund 20 Minuten in einem Tempo, das ihn an die Grenzen seiner körperlichen Belastbarkeit bringt. Dann unterbricht der Hochleistungssportler den Lauf kurz. Der Sportmediziner Dr. Hansueli Backes nimmt ihm am Ohrläppchen einige Tropfen Blut ab. Und schon gehts weiter, in gleich bleibendem Trott. Trotz seiner schweisstreibenden Anstrengung kommt Hollenstein, Mitglied des Schweizer Nationalkaders der Nordischen Kombinierer, nicht vom Fleck, denn er joggt auf einem Laufband. Statt in freier Natur läuft der Sportler in der engen Klimakammer der Empa in St. Gallen, unter streng kontrollierten Bedingungen bei 28 Grad Lufttemperatur und
50 Prozent Luftfeuchtigkeit. Dass er beim Joggen unter Bedingungen, wie sie an einem warmen Sommertag herrschen, stark ins Schwitzen kommt, ist nicht verwunderlich. Nein, das ist sogar gewollt, denn Michael Hollenstein schwitzt für die Wissenschaft. Er nimmt teil an einem Probandenversuch, mit denen die Empa-Wissenschaftler die menschliche Thermoregulation untersuchen. Ziel ist, dank der dabei gewonnenen Erkenntnisse möglichst optimale funktionelle Sporttextilien zu entwickeln.

Schwitzen und sich dabei wohl fühlen

Wer an heissen Tagen körperlich aktiv ist, dem rinnt der Schweiss förmlich «aus allen Poren». Dies verhindert, dass der Körper überhitzt. Trotzdem: Die Feuchtigkeit wird als unangenehm empfunden, besonders wenn sie in den Kleidern „haften“ bleibt. Hier hilft „funktionelle“ Bekleidung, welche die Verdunstungskühlung des Körpers unterstützt. Bei Sportlern ist funktionelle Bekleidung daher besonders gefragt, bei den Profis ebenso wie im Breitensport. Die Empa untersucht im Projekt „Sweat Management“ den Einfluss der Kleidung auf die Wärme- oder Thermoregulation des menschlichen Körpers. „Jede Art von Bekleidung stellt eine Isolation für den Körper dar und beeinflusst die menschliche Thermoregulation“, sagt Projektleiter Andreas Jack von der Empa-Abteilung Schutz und Physiologie. „Wir untersuchen, wie dieser Isolationseffekt auch mit Textilien möglichst gering gehalten werden kann.“ Die Empa beschäftigt sich mit dem Thema schon seit langer Zeit. Um das menschliche Schwitzen simulieren zu können, entwickelte sie sogar eigens einen schwitzenden Roboter namens SAM (für Sweating Agile Manikin), eine bewegliche Gliederpuppe, die aus -zig Düsen wie ein Mensch schwitzt. SAM ersetzt allerdings nicht die Probandenversuche, bei denen sich Freiwillige im Dienst der Wissenschaft sportlich belasten. Nötig sind diese, um die individuellen Unterschiede in der Thermoregulation zu analysieren, und um subjektive Aussagen der einzelnen Probanden zu erhalten.

 

 
Infrarot-Aufnahme, welche die Wärmeverteilung am Körper anzeigt.
 

Nordische Kombinierer auf der Tretmühle
In diesem Fall heisst das für die Nordischen Kombinierer wie Seppi Hurschler und Michael Hollenstein je dreimal 40 Minuten aufs Laufband. Einmal ohne Anzug, nur in Shorts, einmal in einem Anzug, wie er heute im Sporthandel erhältlich ist, und einmal in dem Prototypen einer Empa-Neuentwicklung. Dieser besteht – im Unterschied zu den herkömmlichen Anzügen – an den unterschiedlichen Körperpartien aus verschiedenen Materialien.

 

Durch dieses so genannte „Body Mapping“ wollen Andreas Jack und seine Kollegen die Thermoregulation des menschlichen Körpers optimal unterstützen, letztlich also durch eine entsprechende Materialkombination eine Art „zweite Haut“ schaffen.

Die verschiedensten medizinischen Parameter werden während des Laufs regelmässig von Sportmediziner Backes kontrolliert, denn die Anstrengung bringt die Sportler an ihre Leistungsgrenze, ihre Körpertemperatur steigt auf Fieberniveau. Der vergossene Schweiss wird gesammelt und später im Labor untersucht. Nach dem Lauf werden die Sportler nach ihrem subjektiven Eindruck befragt, also: „Wie fühlten sie sich, welchen Anzug haben sie als angenehmer empfunden und warum?“ Danach werden diese Aussagen mit den gemessenen Daten wie Hauttemperatur, Kerntemperatur, Herzfrequenz, Laktat- und Somatropinwerte usw. verglichen, um so den Anzug weiter zu optimieren.

Wieso aber nehmen Sportler überhaupt solche Mühen auf sich? „Für uns ist das durchaus eine Win-Win-Situation“, sagt dazu Hippolyt Kempf, der 1988 in der Nordischen Kombination Olympiasieger geworden war und derzeit im nationalen Skiverband Swiss-Ski als Chef der nordischen Sportarten amtiert. Neben dem finanziellen „Zustupf“ erhalten Kempf und seine Sportler medizinisch belegte Aussagen über ihren Trainingszustand und dessen Veränderung als Reaktion auf die wiederholte Belastung.

Die Empa und ihre Partner ihrerseits – das Beschaffungszentrum der Schweizer Armee „armaswiss“ und der Schweizer Textilhersteller Christian Eschler AG – kommen zu Daten von Spitzensportlern und können diese mit jenen von Breitensportlern vergleichen, die sich der Empa ebenfalls als Probanden zur Verfügung gestellt haben. Bessere Sportbekleidung soll ja nicht nur den Profis zugute kommen, sondern auch den vielen HobbysportlerInnen.

Autor: Rémy Nideröst

Fachliche Auskunft
Andreas Jack, Abteilung Schutz und Physiologie, Tel. 071 274 78 73, andreas.jack@empa.ch

Hippolyt Kempf, Bundesamt für Sport (BASPO), Tel. 032 327 65 38,