Interview

«Wir machen hier etwas, das relevant ist für alle»

22.06.2022 | MICHAEL HAGMANN

Eine erfolgreiche Umsetzung der Energiestrategie 2050, personalisierte Behandlungsmethoden für die alternde Gesellschaft und ein Kompetenzzentrum für Quantentechnologien – Tanja Zimmermann hat ehrgeizige Ziele. Im Interview erklärt die neue Direktorin, warum ihr Herz für die Empa schlägt.

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Die neue Chefin: Tanja Zimmermann hat an der Empa viele Hierarchiestufen durchlaufen und schätzt die Innovationskraft und Kreativität von gemischten Teams. Bild: Empa

Am 1.6. haben Sie die Leitung der Empa übernommen. Mit welchen Gedanken und Gefühlen gehen Sie an diese neue Aufgabe heran?

Ich freue mich auf eine extrem spannende Aufgabe und bin hochmotiviert, diese anzugehen – denn ich hab' wirklich sehr viel Herzblut in der Empa. Das sieht man an meinem Lebenslauf. Ich habe hier schon als Praktikantin Holz gespalten und bin dann die Karriereleiter hochgeklettert. Ich weiss also, wie ein Gruppenleiter sich fühlt, wo einer Abteilungsleiterin der Schuh drückt und welche Herausforderungen ein Departementsleiter hat. Und ich weiss, dass an der Empa viele hochmotivierte Teams arbeiten – und mit diesen die Zukunft der Empa zu gestalten, darauf freue ich mich enorm. Aber natürlich habe ich auch Respekt; ich folge auf Gian-Luca Bona, der die Empa in den letzten 13 Jahren extrem erfolgreich positioniert hat. Die Empa steht heute so gut da wie noch nie, seit ich sie kenne – und ich kenn' sie schon lange.

Warum so viel «Herzblut»? Was ist so cool an der Empa?

Wir machen hier etwas Sinnvolles, etwas Nützliches, etwas, das relevant ist für das Leben von uns allen. Wenn man am Ende eines erfolgreichen Forschungsprojekts merkt: Aha, da ist wirklich was rausgekommen, das hat der Firma X ganz konkret geholfen – das ist das pure Gegenteil vom Elfenbeinturm. Das ist wirklich sehr befriedigend.

Wo sehen Sie derzeit die grössten Herausforderungen, die Sie mit der Empa angehen wollen?

Da ist zunächst einmal die möglichst schnelle Umsetzung der Energiestrategie 2050, also die Entwicklung CO2-neutraler Technologien im Energie-, im Bau- und Gebäudebereich. Die Empa soll in der Dekarbonisierung eine Vorreiterrolle spielen, das ist eines der Ziele, die ich mir gesetzt habe. Dabei geht es im Kern darum, sorgfältig mit unseren begrenzten Ressourcen umzugehen und anstatt linear vermehrt in Kreisläufen zu denken und zu handeln. Ein anderes zentrales Thema – Stichwort alternde Gesellschaft – ist die personalisierte Medizin, also die Entwicklung von spezifischeren und effizienteren diagnostischen und therapeutischen Methoden, die auf die einzelnen PatientInnen abgestimmt sind, bis hin zur Prävention. Wie können wir verhindern oder hinauszögern, dass Menschen ins Spital müssen? Umwelteinflüsse wie Lärm oder Luftschadstoffe spielen bei vielen Krankheiten eine wesentliche Rolle, vor allem in der dicht besiedelten Schweiz.

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Tanja Zimmermann studierte Holzwissenschaften an der Uni Hamburg und machte ihre Masterarbeit an der Empa. Danach war sie als Wissenschaftlerin, Gruppenleiterin, ab 2011 Abteilungsleiterin, ab 2017 Direktionsmitglied der Empa und Departementsleiterin «Functional Materials» tätig. Ihr Spezialgebiet in der Forschung: Zellulose-Nanokomposite. Tanja Zimmermann ist Dozentin an der ETH Zürich und Mitglied in sechs internationalen Kommissionen zum Thema Materialforschung. Bild: Empa

 

Was kann die Empa zur Lösung dieser Probleme beitragen

Indem wir die Empa weiterhin als erste Anlaufstelle für die Schweizer Industrie positionieren, als «The Place where Innovation Starts». Zentral ist dabei, die Lücke zwischen dem, was im Labor bereits funktioniert, und dessen industrieller Umsetzung zu schliessen. Denn häufig verschwinden viele gute Ideen in diesem «Tal des Todes». Um hier Brücken zu bauen, haben wir Technologietransferplattformen wie NEST, move oder das «Coating Competence Center» ins Leben gerufen. Die müssen wir weiter ausbauen, aber auch in der Wertschöpfungskette einen Schritt weitergehen, wie dies etwa die Technologietransferzentren im Bereich «Advanced Manufacturing» tun. Und dann sind ja da auch noch die Innovationsparks.

Gutes Stichwort: Sowohl in St. Gallen als auch in Dübendorf sind die praktisch vor Ihrer Haustüre angesiedelt. Was versprechen Sie sich von dieser Nähe bzw. von den Innovationsparks generell?

Die Innovationsparks sind für uns die «natürlichen» nächsten Partner im Innovationsökosystem der Schweiz. Ich stelle mir die Innovationsparks als eine Art Begegnungszentrum zum Thema Innovation vor, wo sich alle Stakeholder aus Politik, Industrie, Forschung und Gesellschaft austauschen können. Der Dialog mit der Gesellschaft wird künftig eine zentrale Rolle spielen, denn Technologien beeinflussen immer grössere Bereiche unseres Lebens. Man denke nur an die rasant fortschreitende Digitalisierung mit all ihren angenehmen, aber auch bedenklichen Auswirkungen, an Künstliche Intelligenz und Robotik, aber auch an die nicht zu unterschätzenden Anstrengungen, die jeder und jede von uns leisten muss, wenn wir die Energietransition tatsächlich erfolgreich schaffen wollen. Dabei müssen wir die Bevölkerung frühzeitig einbinden und mitnehmen, sonst fliegt uns das um die Ohren.

Kooperationen und Partnerschaften sind für interdisziplinäre Forschung unabdingbar. Welche Partnerschaften möchten Sie künftig ausbauen?

Die enormen Herausforderungen, vor denen wir stehen, kann keine Forschungseinrichtung – und sei sie noch so gut – alleine lösen, das kann vermutlich noch nicht einmal ein Land alleine. Daher müssen wir unbedingt noch enger im ETH-Bereich zusammenarbeiten und Synergien noch besser nutzen. Das gleiche gilt natürlich auch für die Schweizer Universitäten und Fachhochschulen. Und da ich bereits internationale Vernetzung erwähnt habe: Es wäre für die Schweiz enorm – wirklich: enorm – wichtig, wieder vollumfänglich mit den europäischen Forschungsprogrammen assoziiert zu sein. Wir müssen unbedingt wieder gleichwertiges Mitglied in der europäischen Forschungsfamilie werden – auch, um die Agenda für die kommenden Jahre mitgestalten zu können. Ein längerfristiger Ausschluss hätte fatale Folgen für die internationale Positionierung der Schweiz.

Gibt es Forschungsschwerpunkte, die Sie ausbauen möchten?

Wir arbeiten seit einigen Jahren erfolgreich mit neuartigen Kohlenstoffnanostrukturen wie Graphen und haben erst vor kurzem 15 Millionen Franken von der Werner von Siemens Stiftung erhalten, dazu einen «ERC Grant» und verschiedene SNF-Grants im Bereich Quantentechnologien. Diese Aktivitäten möchten wir gerne bündeln, etwa in einer Art Kompetenzzentrum. Ausserdem werden unsere Aktivitäten im Bereich «Data Science» bereits seit einiger Zeit immer umfassender.

Sie sind die erste Frau an der Spitze der Empa in 140 Jahren. Was bedeutet das für die Institution «Empa»?

Zum einen ist es ermutigend, dass Frauen in solche Positionen gelangen können. Das hat immer noch etwas von einem «Role Model» für jüngere Forscherinnen. Ich bin intern auch schon etliche Male angesprochen worden, wie ich das denn alles unter einen Hut gebracht hätte, Beruf, Familie, Kinder. Mein Beispiel zeigt, dass Frauen auch in einem Forschungsumfeld Karriere machen und gleichzeitig eine Familie haben können. Dafür müssen wir passende Rahmenbedingungen schaffen bzw. weiter verbessern. Ich möchte unbedingt mehr Frauen in Führungspositionen bekommen, da sind wir immer noch schwach.

Die Zeiten sind alles andere als ruhig: die Nachwehen der Pandemie, die Nicht-Assoziierung mit den EU-Forschungsprogrammen, vermutlich steigende Ausgaben für die Landesverteidigung. Nicht gerade rosige Aussichten für Investitionen in Forschung und Innovation, oder?

Ich bin überzeugt, dass Forschung und Innovation in der Schweiz ihren hohen Stellenwert behalten werden. Und wir haben zum Glück eine solide Grundfinanzierung. Allerdings rechne ich in der Tat nicht damit, dass uns künftig deutlich mehr Mittel zur Verfügung stehen werden. Daher tun wir gut daran, alternative Finanzierungsmöglichkeiten auszuloten.

Wie zum Beispiel?

Wir sind bereits seit einiger Zeit sehr erfolgreich mit unserem Zukunftsfonds unterwegs. Das läuft immer besser, im Fundraising gibt es aber auf jeden Fall noch Potential. Zurzeit sehen wir Spenden und Zuwendungen vor allem im Bereich Medtech und personalisierte Medizin. Das wollen wir in Zukunft auf unsere anderen Forschungsbereiche wie Energie und Umwelt, aber auf für die Förderung junger Talente ausdehnen.

Welche Ziele haben Sie sich persönlich für die nächsten Jahre gesetzt?

Zunächst möchte ich der Kultur der Zusammenarbeit an der Empa wieder mehr Schwung verleihen – nach zwei Jahren Corona gibt es da verständlicherweise gewisse «Abnützungserscheinungen» … Dabei ist mir vor allem die Nähe zu den Mitarbeitenden enorm wichtig, der persönliche Austausch, die gegenseitige Inspiration. Wenn wir das wieder besser leben können, kommen Motivation und gute Ergebnisse von ganz allein.

Kultur definiert sich unter anderem über Wertvorstellungen. Welche Werte sind Ihnen wichtig?

Vertrauen und eine offene, klare Kommunikation. Und eine gewisse Fehlerkultur, die es auch erlaubt, Fehler zu machen, weil man aus diesen lernt – gerade davon lebt ja die Forschung. Ausserdem möchte ich unsere jungen Talente mehr fördern und versuchen, mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen. Überhaupt ist Vielfalt enorm wichtig – ich selbst habe die besten Erfahrungen in gemischten Teams gemacht.


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